Neue Erkenntnisse für Schiedsverfahren
Die Nutzung von Schiedsverfahren zur Beilegung von öffentlich-privaten Streitigkeiten wirft Fragen verfassungsmäßiger Art auf, da Schiedsrichter nicht denselben Normen und Schutzbestimmungen unterliegen wie inländische Richter. Die immer häufigere Inanspruchnahme von Schiedsgerichten wirft Fragen nach der verfassungsmäßigen Legitimität bezüglich Prinzipien wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Schutz von Menschen- und Grundrechten auf. Im Rahmen des EU-finanzierten Projekts LEXMERCPUB wurde „die zunehmende Praxis, Streitigkeiten zwischen Staaten und staatlichen Stellen auf der einen Seite und Akteuren aus der Privatwirtschaft auf der anderen Seite, nicht vor nationalen Gerichten, sondern durch Schiedsverfahren genauer betrachtet“, sagt der Hauptforscher Prof. Dr. Stephan Schill.
Umfassender Ansatz für die öffentlich-private Schiedsgerichtsbarkeit
Die Ergebnisse zeigen, dass die öffentlich-private Schiedsgerichtsbarkeit nicht nur als Lösung individueller Streitigkeiten funktioniert, sondern auch als ein System länderübergreifender Kontrolle, bei der Schiedsrichter nicht nur individuelle Streitigkeiten beilegen, sondern auch zur weiteren Entwicklung des Rechts beitragen. Insbesondere erfolgt dies auf eine Art und Weise, die über bestimmte Rechtssysteme hinausgeht. In diesem Sinne sollten öffentlich-private Schiedsrichter als Ausübende länderübergreifender öffentlicher Autorität betrachtet werden. Diese Ausübung länderübergreifender öffentlicher Autorität ist kein modernes Phänomen, sie lässt sich bis zu Fällen öffentlich-privater Schiedsverfahren Anfang des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Die EU-finanzierte Studie LEXMERCPUB zeigt, dass die Ausübung einer solchen Autorität durch Schiedsrichter Spannungen mit grundlegenden verfassungsrechtlichen Prinzipien verursachen kann. Dies stellt die öffentlich-private Schiedsgerichtsbarkeit vor Herausforderungen bezüglich ihrer Legitimität, die gelöst werden müssen, wenn öffentlich-private Schiedsverfahren als Mittel zur Beilegung von Streitigkeiten eingesetzt werden sollen. Die LEXMERCPUB-Forschung zeigt auch, dass ein vergleichender verfassungsrechtlicher Ansatz für diese Herausforderungen bezüglich ihrer Legitimität darauf hindeutet, dass öffentlich-private Schiedsverfahren nicht als illegitim und gegen das öffentliche Interesse betrachtet werden können. Stattdessen akzeptieren die meisten nationalen Rechtssysteme, dass öffentlich-private Streitigkeiten per Schiedsverfahren beigelegt werden können, aber Schutzbestimmungen für das öffentliche Interesse unterliegen. Das LEXMERCPUB-Team stellte fest, dass die Schiedsgerichtsbarkeit im Fall von öffentlich-privaten Streitigkeiten unter besonderen Umständen zu bestimmten Prinzipien von verfassungsmäßigem Rang beitragen können. Dazu zählen Zugang zur Justiz, Beilegung von Streitigkeiten gemäß rechtsstaatlichen Prinzipien und der Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung der beteiligten Staaten, insbesondere, wenn es in einem Land Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit gibt. Für die Wahrung der Legitimität müssen jedoch verfahrensrechtliche und materielle Schutzmaßnahmen vorhanden sein, damit legitime öffentliche Interessen nicht durch derartige Schiedsverfahren beeinträchtigt werden.
Verbesserte Richtlinien für öffentlich-private Schiedsgerichtsbarkeit für Staaten weltweit
Die Projektpartner entwickelten ein konzeptionelles Rahmenwerk, das Schiedsrichtern hilft, das ihnen erteilte Mandat besser zu erfüllen, Schiedsverfahren an Auswirkungen auf das öffentliche Interesse anzupassen und negative Folgen öffentlich-privater Schiedsgerichtsverfahren für das öffentliche Interesse zu vermeiden. Verfassungsgerichte, die zunehmend aufgefordert werden, die Verfassungsmäßigkeit von Vereinbarungen im Rahmen der öffentlich-privaten Schiedsgerichtsbarkeit zu bewerten, werden bessere Strategien entwickeln, damit Schiedsrichter so urteilen können, dass grundlegende Vorstellungen von öffentlichem Interesse und Verfassungswerten respektiert werden. „Mithilfe von LEXMERCPUB werden Entscheidungsträger, Schiedsrichter und Gerichte bessere und gerechtere Entscheidungen bezüglich öffentlich-privater Schiedsverfahren treffen können“, so Prof. Dr. Schill abschließend. „Es wird eine solide Grundlage für die Verbesserung länderübergreifender öffentlich-privater Schiedsverfahren als Institution globaler regulatorischer Kontrolle zur Verfügung stellen.“
Schlüsselbegriffe
LEXMERCPUB, öffentlich-private Schiedsgerichtsbarkeit, Schiedsrichter, Akteur aus der Privatwirtschaft, öffentlich-private Streitigkeit, regulatorische Kontrolle, öffentliche Einrichtungen