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Inhalt archiviert am 2024-04-18

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Die Tiefen der kulturelle Barrieren „sozialer“ Medien

In den letzten zwei Jahren und mit finanzieller Unterstützung des UPLOAD-Projekts interviewte Dr. Koen Leurs junge Londoner zu der Frage, wie die Generation der sozialen Medien mit kulturellen Unterschieden umgeht.

Rassismus ist ein besonders besorgniserregender Trend der jüngsten Zeit. Dabei bringt die Beobachtung des Verhältnisses der Jugendlichen zum Multikulturalismus die Wissenschaftler wahrscheinlich so nah wie möglich an Vorhersagen darüber heran, wie sich der Rassismus entwickeln wird. Und wo könnte man das besser tun, als in den Kommunikationskanälen, wo die Jugend sich am liebsten trifft? Junge Menschen sind bekanntlich das primäre Ziel von wichtigen sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter und YouTube, denn hier können sie ihre Meinungen Freunden und sogenannten Followern auf einfache Weise mitteilen. Und je mehr sie das tun, desto näher kommen sie dem Status eines Influencers, eines Einflussnehmers, in sozialen Medien. Weniger bekannt ist aber, dass ein genauerer Blick auf die Frage, wer wem folgt, tatsächlich wertvolle Informationen darüber liefern kann, wie kulturelle Unterschiede zwischen den digital aktiven Jugendlichen wahrgenommen werden. Diese Beobachtung leitete Dr. Koen Leurs bei seinem Umzug von den Niederlanden nach London, also in eine Stadt, die für ihren Hunger nach sozialen Medien bekannt ist. In den letzten zwei Jahren und mit finanzieller Marie-Curie-Förderung aus dem RP7-Projekt UPLOAD (Urban Politics of London Youngsters Analyzed Digitally) hat Dr. Leurs 84 Londoner im Alter zwischen 12 und 18 Jahren interviewt, um wertvolle Daten darüber zu liefern, wie die Generation der sozialen Medien mit kulturellen Unterschieden umgeht. Was sind die Hauptziele des Projekts? UPLOAD will verstehen, wie junge Londoner über soziale Medien wie Facebook, Twitter und YouTube mit kultureller Vielfalt umgehen. Genauer gesagt bestand das Hauptziel darin, zu untersuchen, wie junge Londoner (im Alter von 12 bis 18 Jahren) das Zusammenleben mit Menschen unterschiedlicher ethnischer und religiöser Herkunft digital wahrnehmen. Für die Entwicklung eines vergleichenden Ansatzes zusammen mit Dr. Myria Georgiou führte ich Feldforschungen in Familien aus Arbeitermilieu, Mittelschicht und (oberer) Mittelschicht in drei Londoner Stadtbezirken – Haringey, Hammersmith-Fulham und Kensington-Chelsea – durch. Aus methodischer Sicht haben wir ausführliche Interviews auf innovative Weise mit Teilnehmerbeobachtung und kreativen, digitalen Methoden kombiniert. Was hat Sie zu den Forschungen in diesem Bereich bewegt? Als ich begann, für UPLOAD zu forschen, standen urbane Begegnungen und Multikulturalismus auf sozialen Medien noch nicht auf der wissenschaftlichen Agenda, und wir brauchten ein besseres Verständnis von zwei verschränkten Prozessen: Das Zusammenleben mit Unterschieden in städtischen Umgebungen und die gesellschaftspolitische Relevanz der täglichen Internetnutzung bei Jugendlichen. Da soziale Medien und mobile Geräte zu einem wichtigen Bestandteil des täglichen Lebens junger Menschen geworden sind, ist es dringend notwendig, mehr darüber zu wissen, ob die Nutzung von Internetanwendungen europaweite Gefühle über einen gescheiterten Multikulturalismus und ethnische Segregation bestätigt oder ob ihre Erfahrungen im Gegenteil den kulturellen Dialog und ein kosmopolitisches Verständnis fördern. Was haben Sie aus Ihrer Forschung bisher gelernt und haben Sie das so erwartet? Nehmen wir zum Beispiel das Freundschaftsnetzwerk von Xavier, einem 13-jährigen, in London geborenen Portugiesen, auf Facebook. Einige seiner Kontakte leben in Portugal, andere sind in London lebende Portugiesen, aber der Großteil seiner Kontakte sind Londoner Freunde mit unterschiedlichen Hintergründen. Als wir mit ihm über diese verschiedenen Kontakte redeten, sagte er: „Die Sache ist die, dass es vor allem in einem Land wie diesem [Menschen aus] so vielen verschiedenen Ländern gibt. Man kann nicht wirklich unterscheiden. Ich ziehe es vor zu lernen.“ Auf diese Weise haben wir 84 junge Menschen wie Xavier in London befragt. Wir haben die Interviews gerade übertragen und kodieren nun diese Abschriften, um Theorien zu entwickeln. Da nur wenig über das Thema des digitalen Multikulturalismus bekannt ist, wollen wir neue Theorien und Methoden entwickeln, die auf den täglichen Erfahrungen unserer Informanten basieren. Zwei miteinander verknüpfte Erkenntnisse möchte ich hier hervorheben, eine konzeptionelle und eine methodische Beobachtung. Methodisch gesehen wurde uns schnell klar, dass man beim Sammeln von Daten für eine aussagekräftige Studie über soziale Medien auch digitale Werkzeuge verwenden muss. Aber wir wollten auch, dass die Informanten sich daran beteiligten. Also entschieden wir uns, die Facebook-Freundschaften der Befragten aktiv auf Facebook zu visualisieren. Diese Visualisierung sollten die Teilnehmer dann nutzen, um ihr Netzwerk selbst zu erforschen. Xaviers Beispiel zeigt, dass diese neue Technik sich dafür eignet, die Informanten zu gründlichen Betrachtungen zu bewegen, da sie bei der Erstellung der Visualisierung beteiligt sind und bei ihrer eigenen Darstellung mitreden können. Aus konzeptioneller Sicht fanden wir heraus, dass die jungen Londoner sowohl ohne als auch mit Migrationshintergrund überwiegend soziale Medien wie Facebook nutzen, um sich mit anderen jungen Menschen, die am selben Ort leben, auszutauschen. So stellten wir fest, dass das Problem früherer Studien zur Internetnutzung bei ethnischen Minderheiten darin bestand, dass sie sich meist auf die grenzüberschreitende Kommunikation und die Abkapselung mit Vertretern derselben Ethnie und Kontakten im Ausland konzentrierten. Soziale Medien scheinen der Ort zu sein, an dem sich Jugendliche mit anderen Jugendlichen aus in ihrer Umgebung anfreunden. Eine vielfältige ethnische oder religiöse Zusammensetzung in ihrer Nachbarschaft und in der Schule spiegelt sich beispielsweise in einem ebenso vielfältigen Freundschaftsnetzwerk in den sozialen Medien wider. Viele Einträge thematisieren den kulturellen Hintergrund der Menschen, und so bieten soziale Medien den Nutzern eine gute Möglichkeit, mehr über Vielfalt zu lernen. Was waren die Hauptschwierigkeiten, mit denen Sie bei Ihrer Recherche konfrontiert waren? Hier sind zwei Hauptprobleme zu nennen. Erstens war es sehr ehrgeizig von uns, rund 90 Informanten befragen zu wollen. Im Gegensatz zum Arbeiterviertel von Haringey, wo wir von den Eltern, Gemeinden, Jugendarbeitern, Jugendclubs und Bibliotheken stark unterstützt wurden, fanden wir in Familien der oberen Mittelschicht in Hammersmith-Fulham und Kensington-Chelsea eine zögerliche Haltung vor. Es ist wichtig, die Implikationen dieser scheinbaren Zurückhaltung in reicheren Familien bei der Beteiligung an der Forschung zu betrachten. Die zweite spannende Herausforderung, die dieses Forschungsprojekt deutlich macht, sind die schwierigen Balanceakte, die ein akademischer Lebenslauf von einem verlangt. Meine Frau und ich nahmen die Herausforderung an, nach London zu ziehen, sodass ich nur fünf Wochen nach der Geburt unseres Sohnes mit den Forschungen anfangen konnte. Zum Glück wurden wir dabei von meinen neuen Kollegen, meiner Familie und meinen Freunden fantastisch unterstützt. Sie haben sich auf London konzentriert. Warum? Glauben Sie, dass Ihre Ergebnisse auch auf den Rest Europas anzuwenden sind? Da mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebt, sind empirisch fundierte Erkenntnisse über Multikulturalismus in der Stadt wichtig, vor allem angesichts der jüngsten Welle von Ethnisierung, rassistischen Tendenzen, Diskriminierung und religiösem Extremismus in Europa. London ist dafür ein illustratives Beispiel, weil hier mehr als 50 % der Bevölkerung zu ethnischen Minderheiten gehören. Obwohl London seine eigene Dynamik hat, gelten unsere Ergebnisse für größere urbane Regionen in ganz Europa und können in die Politik zu kultureller Vielfalt und Migration einfließen. Was glauben Sie, könnte oder sollte getan werden, um soziale Medien zu echten Plattformen für den kulturellen Austausch zu machen? Unsere Studie zeigt, dass junge Londoner die sozialen Medien bereits als Plattform für kulturellen Austausch nutzen. Wie im Offline-Kontext sind ethnische Konflikte und Gewalt eine Ausnahme von der Regel. Die Ausschreitungen in Tottenham im Jahr 2011, bei denen der Blackberry Messenger eine große Rolle spielte, führten zu Schlagzeilen wie „Ist die Technologie an den Londoner Unruhen schuld?“ und „Warum ignorieren wir, dass es bei den Unruhen um Rassen ging?“. Dies zeigt, dass diese beiden Punkte, Rasse und digitale Technologie, als wesentliche Triebkräfte für die Unruhen hervorgehoben wurden. Aber nicht neue Technologien und Rassenfragen führen zu Chaos. Ebenso wenig können soziale Medien von allein interkulturelles Verständnis schaffen. Es sind die Nutzer selbst, die diese Kommunikationsform für weltoffene Begegnungen wählen. Die Wissenschaft sollte diese Dynamik aufmerksam beobachten. Die jungen Menschen in London überbrücken bei ihrer täglichen Nutzung der sozialen Medien ethnische und religiöse Unterschiede durch interkulturelle Freundschaften. Das Projekt nähert sich seinem Ende. Was werden Sie als Nächstes tun? Einige der als Studienteilnehmer interviewten jungen Londoner kamen als Asylsuchende ins Vereinigte Königreich. Als sie von ihren Erfahrungen berichteten, wie sie das Internet nutzten, um in London durchs Leben zu kommen, wurde mir klar, dass es über die Verbindung zwischen sozialen Medien und erzwungener Migration in Europa noch viel zu lernen gibt. In Zukunft möchte ich erforschen, inwieweit digitale Praktiken junger Asylbewerber ihre Menschenrechte reflektieren, vor allem ihre Rechte bezüglich der digitalen Kommunikation. Auch will ich mich mit der für die EU besonders dringlichen Frage befassen, wie junge Asylbewerber durch informelles Lernen die kulturellen Fähigkeiten erlangen, die für eine erfolgreiche Migration und kulturelle Anpassung erforderlich sind.

Länder

Vereinigtes Königreich

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