Crosstalk in sozialen Dilemmata könnte Kooperation behindern
Die Analyse sozialer Dilemmata, also von Situationen, in denen individuelle Interessen Gruppeninteressen widersprechen, hat mittlerweile großes Forschungsinteresse geweckt. Das ist kaum überraschend, da viele der schwierigen Probleme unserer Zeit – von der Ausbeutung natürlicher Ressourcen bis hin zu Gruppenkonflikten – im Grunde soziale Dilemmata sind. Häufig greifen Forscher auf eine Methode aus der Spieltheorie zurück, um solche Probleme mit Computersimulationen zu untersuchen. So ein Planspiel – wie zum Beispiel das Gefangenendilemma – entspricht einer Situation, in der sich die Teilnehmer zwischen kooperativen und unkooperativen Alternativen entscheiden müssen, was jeweils Konsequenzen für sie und für andere hat. Frühere Analysen dieses Phänomens basierten auf der Annahme, dass ein Spieler nur an je einem wiederholten Spiel gleichzeitig teilnimmt oder dass das Verhalten eines Spielers in einem Spiel von all seinen anderen Interaktionen unabhängig ist. Jetzt aber hat ein Team von Wissenschaftlern mit Unterstützung des EU-finanzierten Projekts GRAPH GAMES postuliert, dass diese Annahmen nicht zwangsläufig auf soziale Dilemmata im echten Leben übertragen werden können, wo Menschen oft an vielen Spielen gleichzeitig beteiligt sind und Interaktionen mit anderen Spielern auf andere Spiele einwirken, wo also sogenannter „Crosstalk“ zwischen den Spielen vorkommt. In einem solchen sozialen Dilemma ist gegenseitige Kooperation besser als gegenseitiger Betrug und doch gibt es einen gewissen Anreiz, zu betrügen. Direkte Reziprozität, die auf wiederholten Interaktionen zwischen denselben zwei Spielern basiert, ist ein Kooperationsmechanismus: „Ich helfe dir und du hilfst mir.“ Kooperation kann auch erreicht werden, wenn die Teilnehmer solcher Spiele bedingt kooperative Strategien anwenden, wie zum Beispiel „tit-for-tat“ („Zug um Zug“, d. h. ich bin zunächst kooperativ und tue dann genau das, was du vorher getan hast) oder „win-stay, lose-shift“ („gewinnen-bleiben, verlieren-ändern“, d. h. ich fange kooperativ an und mache dann solange mit meiner aktuellen Handlung weiter bis ich verliere). Forscher vom IST Austria und ihre Kollegen in Harvard, Yale und Stanford haben diese Kooperationsdynamik über mehrere Spiele hinweg untersucht und ein neues Analysesystem für Crosstalk zwischen den einzelnen Spielen eines Spielers vorgestellt. In ihrem Beitrag in „Nature Communications“ schreiben sie, dass „die Entscheidung eines Spielers dann von Crosstalk beeinflusst wird, wenn eine Interaktion eines Spielers aus einem wiederholten Spiel Einfluss darauf hat, wie sich derselbe Spieler in einem anderen wiederholten Spiel verhält.“ Um die Gesamtwirkung von Crosstalk quantitativ darzustellen, haben die Forscher die Populationsstruktur abgebildet, indem sie Spieler auf einem Graphen angeordnet haben. Ihre Ergebnisse zeigten, dass, wenn Crosstalk vorhanden ist, bereits ein einzelner Spieler, der abweicht, jegliche Kooperation in der Gesellschaft zum Zusammenbruch bringen könnte. „Trotzdem kann die Kooperation aufrecht erhalten werden, wenn die Bevölkerung strukturiert ist und alle Teilnehmer in der Lage sind, ausreichend zu verzeihen“, fügten die Forscher hinzu. Laut Aussage eines der am Projekt beteiligten Forschungsinstitute zwingt Crosstalk auch zu Strategien mit dem „korrekten“ Umfang an Vergebung: zu streng und man bekommt eine Gesellschaft, in der niemand kooperiert, zu großzügig und es kann sein, dass verstärkt betrogen wird, weil die Spieler lernen, andere Spieler auszubeuten. Im Beitrag wird geschlussfolgert, dass eine strenge Kooperationsstrategie wie „tit-for-tat“ in unserer heutigen stark vernetzten Welt besonders unfähig ist, mit Crosstalk umzugehen. Bei einigen Ergebnissen im Projekt GRAPH GAMES wurden auch mehrdimensionale quantitative Zielvorgaben in Form grafisch dargestellter Spiele („Graph Games“) analysiert. Darauf aufbauend können Graph Games auch in anderen Bereichen eingesetzt werden, zum Beispiel im Design von Sicherheitsprotokollen (die fehlerfrei aufgebaut und angriffssicher sind) und der evolutionären Spieltheorie (zur Modellierung von Problemen der Populationsdynamik oder Modellen von Krebswachstum). Weitere Informationen: GRAPH GAMES
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