Auswirkungen von Strahlung im niedrigen Dosisbereich auf Stammzellen
Epidemiologische Studien haben eine Fülle von Informationen über die Einflussnahme ionisierender Strahlung auf das Krebsrisiko ergeben. Überlebende der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki oder Personen, die aus beruflichen, medizinischen und umweltbedingten Gründen Strahlung ausgesetzt waren, haben Daten zur Verfügung gestellt. Die Auswirkungen geringer Strahlendosen auf die Gesundheit sind jedoch ungewiss. Man beruft sich weitgehend auf Hochrechnungen zu höheren Strahlendosen und es gibt keine auf einem vollständigen Verständnis der biologischen Reaktionen von Stammzellen, von denen Krebs ausgeht, beruhende Grundlage. Hier muss geforscht werden, um zu gewährleisten, dass das Modell der Risikohochrechnung alle zugrundeliegenden biologischen Mechanismen genau berücksichtigt. Stammzellen existieren im Körper für längere Zeiträume, regulieren homöostatische Geweberegenerierung und können genotoxisch geschädigt werden. In Folge spezifischer Faktoren wie etwa ionisierender Strahlung oder spezifischer DNA-Schädigung können Stammzellen irreversible Störungen erleiden. Schäden dieser Art lösen normalerweise Apoptose, Seneszenz oder eine Transformation aus, die im Endeffekt zu Krebs führen können. Das von der EU finanzierte Projekt RISK-IR befasste sich mit diesem Problem, indem es Wissen über die Stammzellbiologie aus Vergangenheit und Gegenwart anwandte und mit modernsten Technologien die Wirkung ionisierender Strahlung in niedrigen Dosen (<100 mGy) und Dosisraten (<6 mGymin-1) auf verschiedene Typen von Stammzellen untersuchte. Zur Durchführung der Arbeit verwendete das Konsortium verschiedene experimentelle Modellsysteme wie zum Beispiel menschliche Zellen und Mäuse. „Die durchgeführten Studien trugen dazu bei, die Mechanismen der strahlungsvermittelten Krebsentstehung zu durchschauen und diese sind auf alle Arten, einschließlich Menschen, anwendbar“, erklärt Projektkoordinator Simon Bouffler. Stammzellenmodelle bringen geringe Strahlungseffekte ans Licht Die Forscher beobachteten bei bestimmten Stammzellen, die mit oxidativer Stressreaktion und Energiestoffwechsel assoziiert sind, eine Überempfindlichkeit gegenüber geringen Strahlungsdosen. Bei hämatopoetischen Stammzellen von Menschen und Mäusen beeinträchtigte eine Exposition gegenüber niedrigen Dosen ionisierender Strahlung die Zellfunktion und es zeigt sich außerdem ein langfristiger Einfluss in Form von Defiziten bei der Neubesiedlung von Stammzellen. Hautstammzellen waren im Gegensatz dazu resistent gegenüber geringen Strahlungsdosen, was auch in Folgestudien einige Jahre nach der Exposition deutlich wurde. Das RISK-IR-Team untersuchte humane mesenchymale Knochenmarksstammzellen (mesenchymal stem cell, MSC), die aufgrund ihrer Fähigkeit, sich in Knochen, Knorpel und Fett differenzieren zu können, die Blutbildung unterstützen und zur Homöostase des Körpers beitragen. Sie entdeckten eine mit dem Alter in Beziehung stehende Reaktion auf Strahlung und DNA-Reparaturkapazität, die direkt mit dem MSC-Zyklus verbunden ist. Bei der Erweiterung dieser Untersuchungen auf für Krebs prädisponierte Mausmodelle wurde eine Assoziation zwischen Strahlung im niedrigen Dosisbereich und Basalzellkarzinom beobachtet. Gegenteilige Beobachtungen gab es bei Plattenepithelkarzinomen, was auf eine gewebespezifische Wirkung der Strahlenbelastung hindeutet. Die Forscher stellten unter Einsatz induzierbarer pluripotenter Stammzellmodelle fest, dass eine hohe Dosis an Strahlung die In-vitro-Reprogrammierung verhinderte, während die Exposition gegenüber niedrigeren Dosen eine hemmende Wirkung haben könnte. Weiterhin scheinen Sekretionsfaktoren wie IL-6 die Reprogrammierung zu begünstigen. Die Untersuchung der DNA-Schadensantwort, die durch Strahlung im niedrigen Dosisbereich in embryonalen Stammzellen ausgelöst wurde, brachte einen zeit- und dosisabhängigen Effekt ans Licht, der stark mit reaktiven Sauerstoffradikalen verknüpft war. Sicherheitsauswirkungen Ionisierende Strahlung wird vielfach in Industrie und Medizin eingesetzt, so dass eine Exposition manchmal unvermeidlich sein kann. „Wir müssen gewährleisten, dass unsere zentralen Erkenntnisse den großen internationalen Prüfungs- und Normungsgremien wie beispielsweise dem Wissenschaftlichen Ausschuss der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Auswirkungen der atomaren Strahlung (United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation) und der Internationalen Strahlenschutzkommission (International Commission of Radiological Protection) mitgeteilt und von diesen anerkannt werden“, bekräftigt Dr. Bouffler. Eine Quantifizierung der Risiken niedrigdosierter Strahlung ist für den Strahlenschutz von fundamentaler Bedeutung. Deshalb werden die Resultate des RISK-IR-Projekts zur Entwicklung von biologisch realistischen Risikovorhersagemodellen beitragen. Zudem werden sie die wissenschaftliche Beweislage stärken und eine Hilfe dabei sein, zukünftige Richtlinien für die Strahlenbelastung auszuformulieren, um Risiken und Vorteile ionisierender Strahlung abzuwägen.