Das leisere Auto von morgen
Die Automobilhersteller sind ständig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten zur Reduzierung von Geräusch, Vibration und Rauigkeit (Noise, Vibration, Harshness, NVH) sowie zur Verbesserung des Fahrkomforts. In der Tat geben Verbraucher regelmäßig an, dass eine möglichst geringe Geräuschkulisse eines Fahrzeugs großen Einfluss auf die Kaufentscheidung hat. Aufgrund dessen kann die Reduzierung von Geräusch, Vibration und Rauigkeit einen starken Wettbewerbsvorteil für einen bestimmten Fahrzeugtyp oder eine bestimmte Marke darstellen. Geräusch, Vibration und Rauigkeit eines Fahrzeugs genau vorherzusagen, ist jedoch äußerst schwierig. Um zu einer genauen numerischen NVH-Vorhersage zu gelangen, ist eine detaillierte Analyse der bautechnischen Schwingungen des Fahrzeugs in sehr feinen Größenordnungen erforderlich. Kompliziert wird diese durch die Tatsache, dass selbst die kleinste Veränderung eines Fahrzeugparameter zu signifikanten Verschiebungen in seiner Frequenzantwortfunktion führen kann. Zudem stellt die umfassende Palette der bei der Fertigung eines Fahrzeugs verwendeten Materialien, ganz zu schweigen von den komplizierten Kopplungen zwischen den verschiedenen Bauteilen, enorme Anforderungen an eine NVH-Simulation eines vollständigen Fahrzeugs. Um diese Herausforderungen bewältigen zu können, brauchen die Fahrzeughersteller robuste und effiziente NVH-Modellierungsverfahren – und genau jene hat das von der EU finanzierte MHIVEC-Projekt geliefert. „Die vorhandenen Methoden sind für Frequenzen oberhalb von 500 Hz nicht ausreichend robust und passen sich nicht von Natur aus in die Simulationsumgebung von CAE ein, in der Strukturdaten über Netzspezifikationen bereitgestellt werden“, erklärt Projektkoordinator David Chappell. „Das MHIVEC-Projekt löste diese Probleme, indem ein neues Instrument einführt wurde, das von den akademischen Mitgliedern dieses Projekts entwickelt und erprobt wurde.“ Neues Instrument zur vibroakustischen Analyse Zusammen mit zwei Spezial-KMU und dem Fahrzeughersteller Jaguar Land Rover entwickelte dieses interdisziplinäre und sektorübergreifende Konsortium aus Wissenschaft und Industrie mit Erfolg das erste Blackbox- und Netz-gestützte Instrument zur vibroakustischen Analyse einer vollständigen Fahrzeugkarosserie. Mit Hilfe einer Erweiterung des innovativen DFM-Verfahrens (Discrete Flow Mapping) entwickelten die Projektforscher ein neues Simulationstool zur Vorhersage von NVH in mechanischen Bauteilen. „Die Leistungsfähigkeit von DFM wurde im Zuge des Projekts beträchtlich erweitert, so dass sowohl die Modellierung einer vollständigen Fahrzeugkonstruktion zu realisieren als auch ein Softwareprodukt in Form eines nutzerfreundlichen Pakets mit Schnittstellen zu anderen gängigen Softwareinstrumenten kommerzialisierbar ist“, erläutert Chappell. Chappell zufolge bestand eine wichtige Leistung darin, verschiedene Verfahren zu entwickeln, um Netzunterstrukturen zu einem vollständigen Strukturmodell zusammenzufügen. Diese Methoden beinhalten die Entwicklung eines DFM-Gegenstücks zu den Starrkörperelementen (Rigid Body Elements, RBEs), die in Modellen gemäß der Finite-Elemente-Methode (FEM) Einsatz finden. „Das war überraschend kompliziert, da die RBEs in FEM Punktverbindungen zwischen Knoten beschreiben, während DFM auf der Modellierung des Energieflusses über Schnittstellen beruht“, so Chappell. Das leisere Auto von morgen Als Resultat dieser Arbeit hat das Projekt die Geräusch- und Vibrationsanalyse der Forschungs- und Entwicklungsphase zu einem schnellen und zuverlässigen Werkzeug für die Ingenieure gemacht, welche die Fahrzeuge von morgen konzipieren. So hat das Projekt nicht nur den Wissensstand des Industriezweigs über DFM wesentlich verbessert, sondern auch zur Entwicklung eines kommerzialisierbaren DFM-Softwareinstruments hingeführt, das gegenwärtig von der inuTech GmbH produziert wird. „Das MHIVEC-Projekt ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, auf welche Weise europäische Unternehmen und Bürger von der EU-finanzierten Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Industrie profitieren können“, sagt Chappell. „Diese Zusammenarbeit resultierte nicht nur in gestärkten EU-Unternehmen, sondern erschuf außerdem verschiedene neue Arbeitsplätze.“