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The Sociological Aspects of the Management of Intersexuality

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Soziologische Aspekte der Medikalisierung von Intersexualität

Je besser die Vielfalt angeborener Variationen von Geschlechtsmerkmalen beim Menschen erforscht wird, desto mehr medizinische Ansätze werden vorgeschlagen. Ein EU-Projekt untersuchte nun, welche soziologischen Auswirkungen eine solche Medikalisierung haben kann und identifizierte bestmögliche Verfahren.

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Ärztliche Eingriffe bei intersexuellen Menschen oder angeborenen Variationen der Geschlechtsmerkmale (congenital variations of sex characteristics, CVSC) sind häufig schmerzhaft und irreversibel. Seit den frühen 90er Jahren engagiert sich die internationale Intersex-Bewegung gegen unnötige, nicht einvernehmliche, elektive Operationen und weist auf die möglichen Nebenwirkungen solcher Interventionen hin. Dazu gehören chronische Schmerzen, dauerhafter Empfindungsverlust im Genitalbereich, sexuelle Funktionsstörungen, Unfruchtbarkeit durch Gonadektomie, falsche Zuweisung des Geschlechts, posttraumatischer Stress und langfristige psychische Erkrankungen. Die Forschung weist auch auf bioethische Probleme im Zusammenhang mit der pränatalen Diagnostik und Behandlung hin wie die Gabe von Dexamethason bei Föten mit adrenogenitalem Syndrom (AGS) und Schwangerschaftsabbrüche wegen einer CVSC-Diagnose, zu der werdende Eltern nicht hinreichend und kompetent informiert werden. Das EU-finanzierte Projekt INTERSEXIONS untersuchte nun die scheinbar paradoxe Situation: je mehr zu Variationen bei Geschlechtsmerkmalen bekannt wird, desto stärker propagiert die „klassische” Schulmedizin die Angleichung an eines von zwei Standardgeschlechtern bzw. eine „Normalisierung“ dieser Variationen. „Diese Forschungsarbeit und andere neue Studien sowie Hunderte von Erfahrungsberichten verdeutlichen die Forderung nach körperlicher Unversehrtheit und Selbstbestimmung bei Intersexualität. In der nationalen und weltweiten medizinischen Forschung werden immer größere Zweifel an derzeitigen klinischen Behandlungen laut, allerdings äußern sich nur wenige Menschen öffentlich”, erklärt Forschungsleiterin Dr. Michela Balocchi vom Forschungszentrum PoliTeSe an der Universität Verona. Bislang existiert noch keine hinreichende Dokumentation zur Häufigkeit intersexueller Variationen. Dass kaum oder meist auch gar keine quantitativen Daten vorliegen, geht u. a. darauf zurück, dass diese Art von Sexualität verschwiegen oder ihre Existenz gänzlich negiert wird. „Die Erhebung quantitativer Daten”, erklärt Dr. Balocchi, „ist nicht nur ein Instrument für epidemiologische und soziodemografische Analysen, sondern steht auch als Ziel für sich.” Um eine klare Vorstellung davon zu bekommen, wo Intersex-Organisationen am aktivsten sind, dokumentierte Dr. Balocchi mit Unterstützung mehrerer Wissenschaftler und Kollegen, die zu Intersexualität forschen,148 Organisationen weltweit. Im Zuge dessen wurde die erste weltweite Karte zu Intersex-Organisationen erstellt. Die Klassifikation erfolgt anhand von Mitgliedschaft/Zusammensetzung, kulturellen Ausgangspunkten und Zielen und wird ständig ergänzt. Die Karte, die Dr. Balocchi stets auf dem neuesten Stand halten will, führt vor allem Organisationen auf, die sich für Menschenrechte engagieren. Um direkt Betroffenen und Angehörigen ein möglichst breites Informationsspektrum zu bieten, wurden auch Organisationen registriert, die sich nicht auf Menschenrechte fokussieren, aber über spezifische Variationen informieren und Unterstützung anderer Betroffener anbieten. Der quantitative Teil von INTERSEXIONS dokumentierte Daten, die Krankenhäuser in der Toskana in den letzten 20 Jahren erhoben hatten. Betrachtet wurde eine Population von 3 682 Menschen mit zugewiesenem weiblichen und 3 259 Menschen mit zugewiesenem männlichen Geschlecht. Die 6 941 Personen befanden sich zur Genesung im Krankenhaus, wobei die Gründe nicht unbedingt auf medizinische Probleme im Zusammenhang mit ihrer Intersexualität zurückgingen. „Der bahnbrechende nächste Schritt wäre, jeden Einzelnen zu kontaktieren und zu fragen, ob er/sie zur Teilnahme an einer nationalen Umfrage über die Medikalisierung von CVSC und Menschenrechte bereit wäre“, sagt Dr. Balocchi. Das Projekt enthüllte neue, praktikable Methoden für weitere Forschungsvorhaben, etwa zu Bewegungen für die Rechte von Patienten, Behinderten, Gehörlosen oder Frauen. Zudem wurde auf die Aufhebung der Hierarchisierung hingearbeitet, die sich aus dem geschlechtlichen Binarismus ergibt.

Schlüsselbegriffe

INTERSEXIONS, Unterschiede in der Geschlechtsentwicklung, angeborene Variationen der Geschlechtsmerkmale, Intersexualität, medizinische Intervention, uneindeutige Geschlechtszuordnung, Menschenrechte intersexueller Menschen, Intersektionalität

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