Bericht: Europäisches "Projekt zum menschlichen Verstand" wird ähnliche Auswirkungen wie der Darwinismus haben
Nach der Sequenzierung des menschlichen Genoms und im Anschluss an die jüngsten Fortschritte in anderen Bereichen wie Neurobiologie und kognitive Wissenschaft ist die Zeit reif für ein europaweites "Projekt zum menschlichen Verstand" zur Durchführung von interdisziplinärer Forschung dazu, was genau den Menschen ausmacht. Dies ist die Schlussfolgerung einer Gruppe hochrangiger Experten, die eingerichtet wurde, um die wissenschaftlichen Möglichkeiten zu untersuchen, die sich aus Fortschritten in unserem Verständnis des menschlichen Verstands ergeben. Diese Gruppe wurde durch die PATHFINDER-Initiative der Europäischen Kommission eingerichtet, die Teil des Bereichs "Neue und sich abzeichnende wissenschaftliche und technologische Entwicklungen" (NEST) des Sechsten Rahmenprogramms (RP6) ist. Der Expertengruppe zufolge wird ein Projekt zum menschlichen Verstand weitreichende Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir leben, haben und könnte sich im 21. Jahrhundert genauso auswirken wie der Darwinismus im 19. Jahrhundert. "Die Wissenschaftler sind jetzt erstmals in der Lage, die verschiedenen Teile des Puzzles zusammenzusetzen, um ein vollständiges Bild zu erhalten", heißt es in dem Bericht. "Was wir jetzt brauchen, ist eine leistungsfähige neue Zusammenarbeit zwischen Natur- und Sozialwissenschaftlern, ein "Projekt zum menschlichen Verstand", um die Forschungsflut in diesem Bereich zu vereinen und auszuweiten." Die Expertengruppe unter dem Vorsitz von Keith Stenning von der Universität Edinburgh im VK ist sich bewusst, dass die Forscher aus den Natur- und Sozialwissenschaften nicht immer einer Meinung waren. In dem Bericht heißt es jedoch: "Wer wir sind und wie wir denken und uns verhalten, ist eng mit unserer Entwicklungsgeschichte und unserem aktuellen physischen, sozialen und kulturellen Umfeld verbunden. Nur durch die Zusammensetzung dieser Elemente werden wir ein klares Bild von der reichhaltigen Struktur unserer Existenz erhalten können." Das Projekt zum menschlichen Verstand werde eine sehr unterschiedliche Herausforderung gegenüber der des Projekts zum menschlichen Genom darstellen, argumentiert die Gruppe. Diese Anstrengung war hauptsächlich technischer Natur, aber da viele Probleme und Möglichkeiten der Menschheit nicht allein mit technologischen Mitteln angegangen werden können, müssen wir außerdem Möglichkeiten finden, um unser Denken und Verhalten zu ändern. "Ein umfassenderes Wissen in Bezug auf den menschlichen Verstand wird uns die Möglichkeit geben, diese Veränderungen vorzunehmen", glauben die Experten. Der Bericht hebt außerdem einige der jüngsten Durchbrüche hervor, auf denen das Projekt zum menschlichen Verstand aufbauen wird, und stellt fünf breite Themenbereiche heraus, auf die sich die Forschung wahrscheinlich konzentrieren wird. Diese sind: die Genetik der menschlichen Wahrnehmung, der sich entwickelnde Verstand, der Denkprozess, Motivation und Entscheidungsfindung sowie kultureller Kontext. Innerhalb dieser Bereiche können die Wissenschaftler die Antworten unter anderem auf die Fragen suchen, wie gerade unsere Spezies einen außerordentlich komplexen Verstand entwickelt hat und aufrechterhält, wie Erfahrungen die Entwicklung und Alterung des menschlichen Gehirns beeinflussen, was Menschen motiviert, mit anderen zusammenzuarbeiten oder diese zu ignorieren, und welches Verhalten zu unserer Kultur gehört und was Teil unserer Natur ist. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die erforderliche Integration von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen zu erreichen. Eine Option beispielsweise wäre die Einrichtung neuer Forschungsinstitute nach dem Vorbild der erfolgreichen Max-Planck-Institute, aber angesichts der Kosten und der relativen Inflexibilität dieses Ansatzes kam die Gruppe zu dem Schluss, dass diese Option am besten zu einem späteren Zeitpunkt betrachtet werde. Der von den Experten vorgeschlagene Aktionskurs beginnt mit einer Reihe von Konferenzen oder Diskussionen im Rahmen von Konferenzen zu dem Thema "Was macht den Menschen aus?", um Interesse an dem Projekt zum menschlichen Verstand zu wecken. Sobald die Begeisterung steigt, könnten interdisziplinäre Sommerschulen abgehalten werden, bevor durch Zuschüsse finanzierte Forschungsprojekte eingerichtet werden, die Forscher verschiedener Fachrichtungen aus mindestens zwei EU-Mitgliedstaaten zusammenbringen. Bei der Beurteilung der potenziellen Auswirkungen eines derartigen Programms akzeptiert die Expertengruppe, dass sie in einigen Lagern Wut und Entfremdung hervorrufen wird, "insbesondere unter der zunehmend lautstarken Minderheit, die die darwinistische Theorie komplett ablehnt". In diesem Zusammenhang betont der Bericht, dass es dringend notwendig sei, dass sich die an der Initiative beteiligten Wissenschaftler mit der Öffentlichkeit engagieren, ihre Ziele klug auswählen und nicht erlauben, dass ihre Ergebnisse verzerrt werden. Diese Ergebnisse selbst werden sich dem Bericht zufolge in fast allen Bereichen auswirken. Beispielsweise kann ein besseres Verständnis des Lernverhaltens von Kindern verwendet werden, um die Bildungssysteme auf eine wissenschaftlichere Grundlage zu stellen, während tief greifendere Kenntnisse in Bezug auf unsere gemeinsame Entwicklungsgeschichte und gemeinsame menschliche Natur die Bürger toleranter in Bezug auf Menschen mit äußerlichen Unterschieden machen könnten und die durch Einwanderung und Rassismus verursachten Spannungen verringern könnten. Im Privatsektor unterdessen werden Unternehmen, die versuchen, eine erfolgreiche Unternehmenskultur zu schaffen, von der Erforschung der Frage profitieren, wie die erfolgreichsten menschlichen Kulturen Informationen behandeln, Einzelpersonen zur Zusammenarbeit motivieren und Vorschriften schaffen, die unsere bessere Natur verstärken. Der Expertengruppe zufolge werden uns die Ergebnisse des Projekts zum menschlichen Verstand schließlich, was ebenfalls wichtig ist, dabei helfen, einige der dringendsten Fragen, denen die Menschheit heute gegenübersteht, zu lösen. "Ein besseres Verständnis des menschlichen Verstands und warum wir uns so entwickelt haben, dass wir auf bestimmte Art und Weise denken, wird uns bei der Globalisierung, dem demografischen Übergang und sogar bei Themen wie politischer Korruption und Konfliktlösung unterstützen. Die Forschungsergebnisse im Rahmen des Projekts zum menschlichen Verstand werden außerdem Möglichkeiten zur Änderung unseres Verhaltens vorschlagen, um die globale Erwärmung anzugehen und friedlich in einer Welt mit steigender Nachfrage und schrumpfenden natürlichen Ressourcen zu leben", so der Bericht abschließend.