Schlussfolgerung aus RP5-Projekt: EU-Mobilität stärkt europäische Identität
Einer neuen Studie zufolge bewerten EU-Bürger, die bereits von einem Mitgliedstaat in einen anderen gezogen sind, die Europäische Union im Allgemeinen sehr viel positiver und schätzen ihre Kenntnisse über europäische Institutionen und Europapolitik höher ein als EU-Bürger, die in ihrem Heimatland bleiben. Das innerhalb des Fünften Rahmenprogramms (RP5) geförderte PIONEUR-Projekt wurde mit dem Ziel gegründet, die im Bereich der EU-internen Migration bestehenden Wissenslücken zu schließen. "EU-interne Migranten stellen in zweierlei Hinsicht eine versteckte Bevölkerungsgruppe dar. Erstens werden sie in ihrem Gastland nicht systematisch als 'Ausländer' registriert. Zweitens sind sie sehr schwer für klassische Umfragemethoden wie Haustürbefragungen oder das Ausfüllen von Fragebögen durch zufällig ausgewählte Personen zu erreichen", heißt es in dem Abschlussbericht der Studie. Die PIONEUR-Forschungsgruppe, die von der Universität Florenz koordiniert und mit fast einer Million Euro Fördermitteln von der EU unterstützt wurde, hatte die erste systematische Studie über EU-interne Migration zum Ziel. Die Forscher wählten 5.000 europäische Bürger, die als EU-Ausländer in den fünf größten EU-Mitgliedstaaten (Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und dem VK) leben, per Zufallsprinzip aus, um ihre Einstellung und ihr Verhalten mit dem der Bürger zu vergleichen, die ihr Heimatland nicht verlassen. Obwohl die Freizügigkeit innerhalb der EU zu den Grundprinzipien der Union gehöre und das am häufigsten genannte Beispiel dafür sei, "was es bedeutet ein EU-Bürger zu sein", leben offiziellen statistischen Schätzungen zufolge weniger als zwei Prozent der EU-Bürger außerhalb ihres Heimatlandes, so der Bericht. "Trotz der vorhandenen Möglichkeiten scheinen europäische Bürger bemerkenswerterweise nur ungern ins Ausland zu ziehen und dort zu leben", heißt es weiter. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass die grenzüberschreitende Mobilität steigt, da es innerhalb einer neuen Generation von motivierten Europäern ein größeres Bewusstsein für die gebotenen Möglichkeiten gibt. Dem Bericht zufolge gibt es merkliche Veränderungen hinsichtlich des sozialen Hintergrunds der Migranten. Während es sich früher hauptsächlich um wenig qualifizierte Migranten handelte, die ihr Land aus wirtschaftlichen Gründen verließen, sind die mobilen EU-Bürger der letzten Jahre im Allgemeinen besser ausgebildet und höher qualifiziert. Diese Tendenz wird in gewisser Weise durch die starke Nord-Süd-Migration von pensionierten EU-Bürgern überdeckt, deren Bildung häufig auf einem niedrigeren Niveau liegt, als das der Durchschnittsbevölkerung. Trotz dieser allgemeinen Tendenzen zeichnen sich bemerkenswerte Unterschiede zwischen den Migrantengruppen ab. "Beispielsweise verfügen die meisten Spanier, die sich in der letzten Zeit in Deutschland niedergelassen haben, über eine hohe Schulbildung, während die ihrer italienischen Pendants zumeist immer noch niedriger ist (dies deutet auf bestehende Marktnischen für Italiener wie Restaurants und Eisdielen hin)." Ebenso unterschiedlich sind die für den Umzug innerhalb der EU genannten Gründe, die je nach Herkunfts- und Gastland erheblich variieren. Im Allgemeinen zählt jedoch "Familie/Liebe" mit 29,7 Prozent zu dem von der befragten Gruppe am häufigsten genannten Grund für den Umzug in ein anderes Land, wohingegen "Arbeitsmöglichkeiten" nur von 25,2 Prozent genannt werden - ein vielleicht überraschendes Ergebnis. "Lebensqualität" wurde von 24 Prozent der Befragten als Hauptgrund angesehen, während sieben Prozent das "Studium" als Grund für ihren Wohnortswechsel ins Ausland nannten. Die Forscher vermuten, dass diejenigen, die innerhalb der EU mobil sind, sich deshalb stärker mit der Union identifizieren können, ein positiveres Bild von Europa haben und sich selbst als besser über europäische Angelegenheiten informiert betrachten, weil sie größeren "Gebrauch" von den europäischen Regelungen machen. Sie geben den freien Grenzverkehr, den Zugang zu Arbeitsmärkten, soziale Netze in anderen EU-Ländern und das Schließen von Freundschaften im Ausland als Faktoren an, die das Bewusstsein der Bürger für eine europäische Identität stärken könnten. Diejenigen, die in einem anderen EU-Land leben, interessieren sich in der Regel stärker für Politik als die übrige Bevölkerung, und sind politisch eher linksgerichtet. Die erhöhte politische Sensibilität der EU-internen Migranten schlägt sich jedoch nicht in einer aktiven und nachhaltigen politischen Teilnahme nieder. Zudem ist die Wahlbeteiligung der mobilen EU-Bürger im Allgemeinen niedriger als die der übrigen Bevölkerung, vielleicht mit Ausnahme der Beteiligung an europäischen Wahlen. Die Projektpartner von PIONEUR führten zudem eine zusätzliche Studie durch, um die Erfahrungen der Migranten aus den 15 alten EU-Ländern mit denen der aus Ost- und Mitteleuropa stammenden Migranten zu vergleichen. Bei der Auswertung von 40 Interviews mit Migranten aus einem der neuen Mitgliedstaaten (Polen) und einem Beitrittskandidaten (Rumänien) stellte sich heraus, dass der EU-Grenzverkehr für die Bürger beider Länder zwar kein sonderliches Problem darstellt, es sich jedoch für sie schwieriger gestaltet, sich in einem anderen EU-Land niederzulassen und dort einen dauerhaften Wohnsitz zu beantragen. "Sowohl Polen als auch Rumänen erfahren Diskriminierung, vor allem in Ländern wie Italien und Frankreich, in denen sie sich meist engere kulturelle Bindungen erhoffen", so der Bericht. "Migranten mit höherem Bildungsniveau haben bessere Berufsmöglichkeiten, aber dennoch ist ein Abstieg auf der sozialen Leiter auch bei ihnen weit verbreitet, da ihre Qualifikationen und Talente im Allgemeinen im Westen nicht anerkannt werden." Laut Bericht ist auch ein Anstieg des als "Kreismigration" bezeichneten Phänomens zu verzeichnen, vor allem bei polnischen EU-Bürgern. Unter diesen Begriff fallen EU-Bürger, die sich abwechselnd in ihrem Heimatland und einem anderen EU-Mitgliedstaat aufhalten und auf diese Weise von den Vorzügen der Mobilität profitieren, ohne die Nachteile von Immigration und Wohnsitzverlagerung in Kauf nehmen zu müssen. Abschließend räumen die Forscher ein: "Wir können nicht sagen, ob [ ] Mobilität förderlich für Wirtschaftswachstum und Innovation ist." Sie konzentrieren sich lieber auf die "politischen Früchte" der EU-Mobilität, die sich klarer abzeichnen, als mögliche Gewinne im wirtschaftlichen Bereich. "Schlussfolgernd kann man sagen, dass die EU-internen Migranten zur Stärkung der Legitimität der EU beitragen. Sie bilden eine Art 'Vorreitergruppe' der europäischen Identität - lebendige Zeugen einer immer enger zusammenwachsenden Union."
Länder
Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien, Vereinigtes Königreich