Kommission fordert: Patentsysteme sollten sich stärker an der Praxis orientieren
Der Direktor für Innovationspolitik in der Generaldirektion Unternehmen der Europäischen Kommission David White hat die Regierungen der Mitgliedstaaten und die EU-Institutionen aufgerufen, die Unternehmen im Hinblick auf eine optimale Nutzung des derzeitigen Patentsystems in Europa besser zu unterstützen. In seiner Ansprache auf der jährlichen Konferenz von PATLIB, dem Netzwerk der Patentinformationszentren in Europa, am 22. Mai in Prag verwies White auf die neuesten Zahlen der Innovationserhebung der Gemeinschaft, die zeigen, dass die europäischen Unternehmen, insbesondere KMU, sich nach vor scheuen, Patente zu verwenden, und stattdessen auf Geheimhaltung setzen. "Wenn sich die Unternehmen scheuen, ein System zu verwenden, müssen wir uns fragen, ob das daran liegt, dass sie die Vorteile des Systems nicht kennen, oder daran, dass sie das System als mangelhaft erachten", so White. Als Hauptmängel führte der Direktor unter anderem die unterschiedlich hohen Patentierungskosten und vor allem die langwierigen Patentverfahren an. "[�] wenn Patentverfahren nicht rasch ein gerechtes Urteil hervorbringen, was hat man dann von dem Schutzrecht, das mit dem Patent verbunden ist?" fragte er. "Geistiges Eigentum wird zum Wohle der Allgemeinheit und der Innovation geschützt. Wir können nicht hinnehmen, dass sein Wert möglicherweise gar nicht so sehr von seinem Inhalt, sondern von der Finanzkraft der Parteien des Patentstreits abhängt", erläuterte White. Weiter sagte er, dass es nicht ausreichend sei, wenn die Regierungen der Mitgliedstaaten, die EU-Institutionen und die nationalen Patentämter den Unternehmen die Instrumente zum Schutz ihrer geistigen Eigentumsrechte (IPR) einfach nur zur Verfügung stellen: "Wir müssen darüber hinaus dafür sorgen, dass sich die Unternehmen ihrer Stärken bewusst werden und in der Lage sind zu beurteilen, wann sie diese einsetzen sollten. Dazu müssen wir zunächst einmal erfassen, auf welche Art und Weise die Unternehmen die verfügbaren Instrumente nutzen." Daher rief White die versammelten Vertreter der nationalen Patentinformationszentren auf, Beispiele für die konkrete Nutzung von Patenten zu sammeln. "Die Praxis kann sich sehr stark von der Theorie unterscheiden", so White. "Die Unternehmen denken möglicherweise anders als die politischen Entscheidungsträger. Und entscheidend sind allein ihre Denkweise und ihr Handeln. Daher müssen wir diese verstehen. [...] Denn Innovationen werden von Unternehmen hervorgebracht, nicht von Bürokraten!" Des Weiteren erläuterte White die IPR-Initiative der Europäischen Kommission, die im Oktober 2005 als Teil einer neuen Industriepolitik zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für das verarbeitende Gewerbe in Europa angekündigt worden war. Die Initiative setzt sich aus verschiedenen Blöcken zusammen. Einer davon besteht in einem statistischen Bericht über die Gründe, aus denen Unternehmen geistige Eigentumsrechte nutzen bzw. nicht nutzen, und umfasst darüber hinaus geeignete Maßnahmen, um dieser Situation zu begegnen. "Sie werden uns helfen zu verstehen, auf welche Art und Weise Patente in verschiedenen Sektoren genutzt werden, etwa in Form von Lizenzierungen mithilfe von Innovationsagenturen, der Anstrebung von Partnerschaften mit Großorganisationen oder der Beteiligung an Rechten an geistigem Eigentum durch Gründerzentren", führte er aus. Einen weiteren Block der Initiative bildet eine Benchmarking-Studie über öffentlich finanzierte Unterstützungsdienste im Bereich IPR, in deren Rahmen seit Januar 2006 bereits 150 Unterstützungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten ermittelt wurden. "Nunmehr wird die Studie deren Effizienz untersuchen und bewährte Verfahren herausstellen", erklärte White. "All dies wird hoffentlich dazu beitragen, dass wir erkennen, in welchen Bereichen die Unternehmen Schwierigkeiten haben, ob die Maßnahmen der Regierungen auch tatsächlich an den Problemstellen ansetzen und wo es noch Verbesserungsbedarf gibt." Auf europäischer Ebene unterstützt die Kommission weiterhin die Arbeit des allgemein anerkannten IPR-Helpdesks, das Unternehmen kostenlos grundlegende Unterstützung bietet, und des Netzes der Innovation Relay Centres, die Technologiebedarf ermitteln. Außerdem steht die Kommission gemeinsam mit dem Helpdesk potenziellen künftigen Geschäftspartnern bei Verhandlungen über Verträge und Fragen zum geistigen Eigentum beratend zur Seite. Des Weiteren kündigte White die Schaffung eines neuen Instruments mit dem Titel "Training the Trainers" im Bereich IPR-Unterstützung an. Dieses vom Europäischen Patentamt (EPA) geleitete Projekt zielt darauf ab, Experten für geistiges Eigentum und Unternehmen zusammenzubringen. Abschließend sagte White, die Kommission sei bestrebt, ihre Zusammenarbeit mit den nationalen Patentämtern zu verbessern und die Entwicklung des Netzes der nationalen Patentämter zu fördern, um eine zentrale Anlaufstelle für europäische Unternehmen in der jeweiligen Landessprache zu schaffen. Die Kommission wird ihre Empfehlungen zur IPR-Politik voraussichtlich Ende 2006 vorlegen.