"Der Jugend vertrauen": Leiter des Europischen Forschungsrats blicken in die Zukunft
Im Oktober 2002 wurde auf einer Konferenz in Kopenhagen folgende Frage gestellt: "Brauchen wir einen Europischen Forschungsrat?" Die Antwort von Forschern aus der gesamten EU war ein klares und deutliches JA, und jetzt, weniger als vier Jahre spter, ist der Traum kurz davor, wahr zu werden. In einer Rede vor einem vollen Konferenzraum auf dem Euroscience Open Forum (ESOF2006) in Mnchen stellten die Macher des Europischen Forschungsrats ihre Fortschritte hinsichtlich der Einrichtung dieses mit groáem Interesse erwarteten Gremiums heraus und uáerten ihre Hoffnungen fr die Zukunft. Fotis Kafatos ist Vorsitzender und Helga Nowotny stellvertretende Vorsitzende des wissenschaftlichen Rates. Dieses Gremium wurde eingerichtet, um die Wissenschaftsstrategie des Europischen Forschungsrats zu entwerfen und umzusetzen. Beide sind hervorragend fr die Anforderungen ihrer Posten qualifiziert. Ihre Lebenslufe sind in jeglicher Hinsicht beeindruckend. Sie haben beide an renommierten Universitten und Instituten in der EU und andernorts gearbeitet. Professor Kafatos ist ehemaliger Generaldirektor des Europischen Laboratoriums fr Molekularbiologie, und Professor Nowotny war bis vor kurzem Leiterin des Europischen Forschungsbeirats (EURAB). Sie waren auáerdem in der fachbergreifenden Bewegung von Wissenschaftlern aktiv, die die Politiker aufforderte, die Finanzierung fr die Grundlagenforschung zu erhhen, und schlieálich zur Einrichtung des Europischen Forschungsrats fhrte. Was jedoch im Gesprch mit ihnen am meisten zum Ausdruck kommt, ist ihre unermessliche Begeisterung fr das Projekt des Europischen Forschungsrats. Ihre Augen leuchten, wenn sie ber ihre Hoffnungen fr die Zukunft des Europischen Forschungsrats sprechen. Wenn einer einen besonders wichtigen Punkt anfhrt, bekundet der andere seine Zustimmung mit unablssigem Kopfnicken. Professor Kafatos leitete die Sitzung ein, indem er die "wenigen und klaren" Grundstze der Strategie des Europischen Forschungsrats erklrte, die zu Beginn dieses Jahres eingefhrt wurde. Der erste Grundsatz lautet: "Der Jugend vertrauen". Im ersten Jahr wird sich der Europische Forschungsrat ausschlieálich auf die Bereitstellung von Untersttzung fr Nachwuchswissenschaftler konzentrieren, die ihre eigene Forschungsgruppe in Europa grnden mchten. Wie Professor Nowotny spter herausstellte, ist die Gelegenheit, zu Beginn ihrer Laufbahnen unabhngig zu werden, einer der Faktoren, der europische Wissenschaftler in die USA zieht. Der zweite Grundsatz lautet: "Dem Einzelnen vertrauen". Whrend Zusammenarbeit fr das brige Rahmenprogramm von zentraler Bedeutung ist, werden unter dem Europischen Forschungsrat einzelne Teams Frdermittel beantragen knnen. Der letzte Grundsatz lautet: "Es einfach halten". In der EU ansssige Forscher aller Fachrichtungen, einschlieálich der Sozial- und Geisteswissenschaften, werden Zuschsse des Europischen Forschungsrats beantragen knnen. Das einzige Kriterium ist Exzellenz. Professor Nowotny unterstrich anschlieáend die Bedeutung der Finanzierung von Projekten, die sich wirklich mit Grenzforschung befassen, die die Grenze zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten erforscht. "Grenzforschung kann nicht geplant werden. Sie ist unvorhersehbar", so Nowotny. "Man kann sagen, dass etwas Ntzliches dabei herauskommen wird, aber man kann nicht sagen, wann oder wie." Selbst wenn ein Ergebnis negativ erscheint, ist es immer noch ntzlich. "Wenn Sie von einer Klippe fallen, weiá zumindest die brige EU, dass die Klippe da ist, und wird sie meiden", stellte sie heraus. Langfristig wird der Europische Forschungsrat nach Ansicht Nowotnys den bergang zu mehr interdisziplinrer Forschung in Europa vorantreiben. "Disziplinen sind eine Erfindung des 19. Jahrhunderts", bemerkte sie und stellte heraus, dass die Forscher jetzt die Vorteile der Zusammenarbeit mit Kollegen aus anderen Fachrichtungen wieder neu entdecken. "Wir stellen fest, dass dasselbe Phnomen aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden kann, einschlieálich verschiedener disziplinrer Sichtweisen, und dies macht es sehr aufregend", erklrte sie. "Wir bewegen uns also von einer disziplinreren, fragmentierteren Art der Wissenschaft zu einer Form der Wissenschaft, bei der man einen gráeren berblick hat und bedeutende Fortschritte beim Verstndnis von Phnomenen erzielt." Der wissenschaftliche Rat versucht, diesen Prozess durch seine multidisziplinren Bewertungsgremien - die Gruppen, die entscheiden werden, wer das Geld bekommt - zu erleichtern. Es wird insgesamt 20 Gremien geben, die sich jeweils aus zehn bis zwlf Personen mit unterschiedlichen Hintergrnden zusammensetzen. Im vergangenen Monat stimmte das Europische Parlament fr eine berprfung des Europischen Forschungsrats im Jahr 2008, um ihm durch eventuelle nderung seiner Struktur mehr Unabhngigkeit zu verleihen. Die Abstimmung war eine Enttuschung fr den EU-Kommissar fr Wissenschaft und Forschung Janez Potocnik, der sich vehement fr eine sptere berprfung ausgesprochen hatte. In einem Gesprch mit CORDIS-Nachrichten nach der Sitzung uáerten Professor Nowotny und Professor Kafatos ihre Meinung zu der Abstimmung. "Ich denke nicht, dass dies die Art von Bewertung sein kann, die wir uns alle wnschen. Diese kann erst erfolgen, wenn es gewisse Ergebnisse vorzuweisen gibt und wenn die Verfahren gengend ausgereift sind, um mgliche Optionen aufzuzeigen", kommentierte Professor Nowotny. "Wenn das Parlament dies will, dann werden wir mitteilen, was wir in den letzten eineinhalb bis zwei Jahren getan haben. Aber es kann keine wirkliche Bewertung von der Art sein, die wir uns alle wnschen und brauchen und die erst im Jahr 2010 erfolgen sollte", fgte sie hinzu. Professor Kafatos war gleichermaáen vehement. "Wir werden dem Parlament sicherlich jedes Jahr einen ausfhrlichen Bericht geben. Sollte es irgendwelche Probleme geben, werden wir diese klar und deutlich ansprechen und nderungen fordern. Aber es ist Zeitverschwendung, ber eine berprfung zu sprechen, bevor Nachweise vorliegen, insbesondere wenn es sich um eine berprfung mit vorbestimmter Lsung handelt", sagte er. "Es wre wirklich sehr schdlich fr unsere Arbeit, ein Ergebnis vorzugeben oder eine verfrhte Bewertung durchzufhren, mit der nichts bewertet werden kann, da die Fakten fehlen werden." Das Ziel des Europischen Forschungsrats besteht in der Finanzierung der Grundlagenforschung, die von Natur aus risikoreich ist, da Ergebnisse nicht garantiert sind. Sind Kafatos und Nowotny besorgt, dass einige Politiker kontinuierliche Ergebnisse erwarten knnten? "Ich denke, wir mssen weiterhin sowohl den Politikern als auch der ffentlichkeit erklren, was Grundlagenforschung ist und warum wir sie brauchen", antwortete Professor Nowotny. "Die politischen Fhrungskrfte haben inzwischen verstanden, dass es bei dem Prozess von Lissabon nicht nur darum geht, die bereits erzielten Ergebnisse an die Industrie weiterzugeben, sondern auch darum, Wissen zu schaffen", ergnzte Professor Kafatos. Er wies darauf hin, dass allein in den Biowissenschaften smtliche Fortschritte in den Bereichen Molekularbiologie, Gentechnik, Klonen und DNA-Sequenzierung im Rahmen der Grundlagenforschung erzielt worden seien und dass zu dieser Zeit niemand ber die potenziellen Vorteile der Forschung nachgedacht habe. Dann erschien HIV auf der Bildflche. Professor Kafatos erklrte, dass rzte ohne die Instrumente der Molekularbiologie nicht in der Lage gewesen wren, Blutbanken zu verwenden, da sie schnell kontaminiert waren. Dank der Grundlagenforschung konnten rzte den Virus feststellen. Der Rat ist auáerdem mit der Auswahl eines Generalsekretrs zur berwachung des Tagesgeschehens des Europischen Forschungsrats beschftigt. Frist fr die Einreichung von Bewerbungen war Ende Mai. Von den rund 20 eingegangenen Bewerbungen und Vorschlgen wurden vier Kandidaten fr ein Vorstellungsgesprch ausgewhlt. Die Ernennung wird wahrscheinlich bis Mitte September bekannt gegeben. Whrend die erste Runde von Zuschssen ausschlieálich auf Nachwuchsforscher abzielt, werden erfahrenere Wissenschaftler erfreut sein zu hren, dass fr das folgende Jahr ein Zuschuss fr etablierte Forscher vorgesehen ist. Professor Nowotny unterstrich jedoch den Wettbewerb in Bezug auf die Zuschsse. Aufgrund der geringen Geldmenge im Topf gebe es nur eine geringe Zahl von Zuschssen, die nur den Allerbesten gewhrt wrden. Am Ende der Sitzung strmten viele Teilnehmer nach vorne, um mit Professor Kafatos und Nowotny zu sprechen. Einige hatten spezielle Fragen oder Anmerkungen, andere wollten sie lediglich zu ihrer bisherigen Arbeit beglckwnschen und ihnen alles Gute fr die Zukunft wnschen. Helga Nowotny erklrte gegenber CORDIS-Nachrichten, dass diese Reaktion durchaus normal sei, und sagte, sie begráe Feedback, insbesondere von Nachwuchswissenschaftlern. "Ich ermuntere sie, unsere Website anzusehen und uns zu schreiben, da es Situationen fr junge Menschen geben kann, die Fragen aufwerfen, an die wir nicht gedacht haben." Professor Kafatos sagte, das Ziel des Europischen Forschungsrats bestehe in der Frderung von Forschung, die die Grenze des Unbekannten nach hinten verschiebe, und das Ergebnis des Europischen Forschungsrats sollte eine umfassende Verschiebung der jetzigen Grenze sein. Unter Anleitung des uáerst engagierten Wissenschaftsrats drften diese Ziele erreicht werden.