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Inhalt archiviert am 2023-03-06

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Sprachverständnis im Kontext: Gehirn arbeitet opportunistisch und proaktiv

Auf welche Weise das menschliche Gehirn noch den winzigsten Fingerzeig zur Interpretation von Sprache effektiv ausnutzt, es ahnt, was über wen gesagt worden sein könnte, wobei manchmal sogar sprachliche Regeln außer acht gelassen und schnelle Experimente durchgeführt werden, u...

Auf welche Weise das menschliche Gehirn noch den winzigsten Fingerzeig zur Interpretation von Sprache effektiv ausnutzt, es ahnt, was über wen gesagt worden sein könnte, wobei manchmal sogar sprachliche Regeln außer acht gelassen und schnelle Experimente durchgeführt werden, um zu einer frühestmöglichen Interpretation zu gelangen, haben jüngste Forschungen gezeigt. Professor Jos van Berkum vom Max Planck Institut für Psycholinguistik in den Niederlanden erörtert im Fachmagazin Current Directions in Psychological Science neueste Untersuchungen zu Hirnströmen und linguistischer Interpretation. "Das Sprachverständnis scheint eine recht einfache Sache zu sein", äußert Professor van Berkum. "Man führt eine Unterhaltung und hört sich an, was der Gesprächspartner zu sagen hat. Aber eigentlich jongliert man gekonnt mit einer Vielzahl von Lauten und Klängen herum und was am Ende dabei herauskommt ist, wenn alles gut geht, ein Sinn, eine Bedeutung. Wie aber kommt man derart mühelos von einem zum anderen?" In den letzten Jahren führten Professor van Berkum und sein Team eine Reihe von Experimenten aus, bei denen ereigniskorrelierte Potenziale (EKP) untersucht wurden. Als Datengrundlage dienten Aufzeichnungen von Personen, die eine Reihe von kritischen Sätzen in verschiedenen Kontexten hörten oder lasen. Ereigniskorrelierte Potenziale zeigen Änderungen der Hirnaktivität in verschiedenen Situationen in Reaktion auf Reize wie etwa ein Wort oder einen Ton. Die Ergebnisse all dieser Untersuchungen zeigen deutlich, dass in eine Interpretation des Gesprochenen oder Gelesenen viele Bereiche des Gehirns einbezogen werden, die jeweils auf verschiedene Situationen reagieren und zusammen arbeiten, um die Dinge in den richtigen Kontext zu rücken und einen Sinn zu erahnen. Der sogenannte N400-Effekt tritt am stärksten am Hinterkopf auf. Er steht mit der Analyse des Sinns im Zusammenhang, aber reagiert nicht direkt darauf, wie ein Satz zusammengesetzt ist. Der N400-Effekt zeigt sich zum Beispiel, wenn jemand mit einem eher vornehmen Akzent sagt: "Ich habe ein großes Tattoo auf meinen Rücken", da die Zuhörer ihre Aufmerksamkeit sofort dem Sprecher widmen und alle möglichen Klischeevorstellungen heranziehen, um ihr Ahnungsvermögen von dem, was gesagt werden wird, zu beschleunigen. Der Effekt des Hörens und Lesens von Sätzen mit unklarer Bedeutung unterscheidet sich von dem N400-Effekt und wird größtenteils an der Stirn gemessen. Ein anderer EKP-Effekt mit der Bezeichnung P600 wird immer beim Hören oder Lesen eines Worts hervorgerufen, das der vorhersagenden Analyse des Zuhörers oder Lesers widersprach. In einer Gesamtbetrachtung aller Ergebnisse kommt Professor van Berkum zu der Einschätzung, dass unser Gehirn opportunistisch und proaktiv arbeite und dass die Bedeutung des Kontexts nicht zu unterschätzen sei. Er verdeutlicht außerdem, dass verschiedene Aspekte der Interpretation zumindest teilweise von verschiedenen Netzwerken im Gehirn behandelt würden. Diese Interferenzen seien jüngst mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) bestätigt worden. "Bei der Interpretation von Sprache folgen die Menschen nicht nur einfach sklavisch der Syntax", stellt Professor van Berkum klar. Untersuchungsdaten seines Teams zeigen, wie Zuhörer bestimmen können, ob ein Wort fehl am Platz ist, noch bevor der Sprecher es überhaupt vollständig ausgesprochen hat. Die Untersuchungen offenbaren gleichsam, wie das Gehirn soziale Klischees einsetzt, um schneller die Bedeutung des Gesagten zu interpretieren. Dem Professor zufolge sei dies nur ein Beispiel für viele "Quick-and-Dirty-Shortcuts", also eine Art von möglicherweise vorschnellen und stark vereinfachenden Verknüpfungen, die wir anwenden, um den Sinn des Gesagten vorauszuahnen. Professor van Berkum geht nicht davon aus, dass unser Verständnis der Interpretation einfach mithilfe der Durchführung weiterer Experimente voranzubringen sei. Die große Herausforderung besteht seiner Meinung nach darin, "genaue Modelle der Interpretation zu formen, die sich nicht nur verhaltensbezogenen Fakten und linguistischen Analysen anpassen, sondern deren Funktionsweise auch mit Neuroimaging-Daten gepaart werden kann." Neuroimaging-Studien sollten seiner Auffassung nach allerdings in den Bereich des realen Sprachgebrauchs verlagert werden. Der Professor zeigt sich überzeugt: "Hier erwarten uns noch viele interessante Fragen. Eine ganze Reihe offener Fragen dreht sich um den Sprecher, die Art des Gesprächs und 'Schichten' in der Kommunikation. Wie reagiert beispielsweise das Gehirn auf Äußerungen wie 'flüsternde Wolken', wenn man weiß, dass der Sprecher ein Dichter, ein an Problemen mit der Wortfindung leidender Patient oder ein Held aus einem Roman ist, den man gerade liest? [...] Und wie verhält es sich mit den Absichten des Sprechers? [...] Vorsätzliche, auf bestimmte Wirkungen abzielende Handlungsweisen sind der Dreh- und Angelpunkt der täglichen Kommunikation, aber bis jetzt haben wir keinen direkten Zugang zu dem Geheimnis, wie denn unser Gehirn nun wirklich arbeitet, wenn all die Worte dort ankommen. Es ist wahrlich an der Zeit, das herauszufinden."

Länder

Niederlande

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