Europäische Wissenschaftler kommen dem Rätsel der Totgeburt näher
Forscher aus Europa und den Vereinigten Staaten haben einen wichtigen Schritt zur Lösung des Rätsels um Totgeburten gemacht, kündigte ein italienischer Forscher am Dienstag. Intrauteriner Fruchttod (IUFT), oder Totgeburt, wenn ein Kind im Mutterleib nach der 14. Schwangerschaftswoche stirbt, ist für 60% der perinatalen Mortalität verantwortlich und tritt bei ungefähr 1 von 200 Schwangerschaften in Europa auf. Rund die Hälfte dieser Totgeburten ist ungeklärt, aber Wissenschaftler aus Deutschland, Italien und den Vereinigten Staaten vermuten, dass bis zu 8% dieser Todesfälle durch spezifische genetische Herzerkrankungen verursacht werden. Alice Ghidoni, eine Doktorandin an der Universität Pavia, erklärte vor Teilnehmern der Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Humangenetik (European Society of Human Genetics, ESHG), dass ihre Forschungsgruppe zum ersten Mal gezeigt hat, dass kardiale Channelopathien, das sind Erbkrankheiten, bei denen der Herzrhythmus gestört ist, in manchen IUFT-Fällen eine Rolle spielen. "Seitdem wir wissen, dass 10-15% der Fälle von plötzlichem Kindstod genetische Varianten besitzen, die mit dem Long-QT-Syndrom oder Brugada-Syndrom assoziiert sind, beschlossen wir zu untersuchen, ob plötzlicher Tod durch Störungen der Herzfrequenz auch manchen Fällen von IUFT zugrunde liegen könnte", erklärte sie. Long-QT-Syndrome und Brugada sind Erkrankungen, bei denen ein unregelmäßiger Herzschlag zu plötzlichem Tod führt und besonders dafür bekannt, einen plötzlichen und unerwarteten Tod bei jungen Erwachsenen auszulösen. Um diese Theorie zu testen, führten die Forscher ein molekulares Screening von totgeborenen Föten durch, bei denen die Todesursache nach umfangreichen Post-mortem-Untersuchungen ungeklärt geblieben war. Sie hielten Ausschau nach Mutationen von drei Genen, von denen zwei mit Long-QT zusammenhing und eine davon sowohl beim Long-QT-Syndrom als auch bei Brugada zutraf. Sie fanden drei krankheitsverursachende Varianten, die bei den IUFT- Fällen vorlagen, jedoch bei mehr als 1.000 Vergleichskontrollen nicht vorhanden waren. "Die häufigsten Ursachen für fetalen Tod sind Chromosomenanomalien, Infektionen, fetale-mütterliche Blutungen und mütterliche Erkrankungen, die relativ leicht zu ermitteln sind", sagte Ghidoni. "Da das genetische Screening ein langes, teures und kompliziertes Verfahren ist, wird es nicht routinemäßig in den Fällen durchgeführt, in denen eine Autopsie zu keiner Todesursache geführt hat", so Ghidoni. Sie schlug vor, dass "eine solche molekulare Untersuchung sehr nützlich sein könnte, um bestimmte genetische Defekte, die in Familien vorkommen, zu ermitteln, sodass anschließende Schwangerschaften mit einer engmaschigen klinischen Nachverfolgung überwacht werden können. In einigen Fällen könnte eine lebensrettende Behandlung durchgeführt werden." Wenn etwa bei einem Fötus eine Genmutation festgestellt wird, die kardiale Channelopathie verursachen könnte, kann die Mutter mit Medikamenten wie Beta-Blockern behandelt werden, also in der gleichen Weise wie Erwachsene, die mit Long-QT-Syndrom diagnostiziert wurden. Da die Studie von Wissenschaftlern aus verschiedenen Zentren und Ländern durchgeführt wurde, war eine systematische Erfassung elterlicher DNA nicht möglich. Nun wollen die Forscher die Population der Studie erweitern und DNA von allen Familienmitgliedern sammeln. Kardiale Channelopathien kursieren in Familien, sodass Gentests in der Lage sind, nicht nur jene Eltern zu ermitteln, die ein Risiko für eine betroffene Schwangerschaft haben, sondern auch alle Familienmitglieder, die sich vielleicht nicht bewusst sind, dass sie ein möglicherweise tödliches Herzleiden haben könnten, so die Forscher. "Wir glauben, dass es sehr wichtig ist, das Wissen um diese genetischen Störungen bei pädiatrischen Kardiologen und Gynäkologen zu erweitern und dass Gentests in die Post-mortem-Analyse einbezogen werden sollten", so Ghidoni. "Es könnten viel mehr Leben gerettet werden, wenn sich die Angehörigen der Gesundheitsberufe dieser verheerenden Erkrankungen stärker bewusst wären, genauso wie die betroffenen Familien, die in vielen Fällen bereits genug gelitten haben."Weitere Informationen sind abrufbar unter: Europäische Gesellschaft für Humangenetik (ESHG): http://www.eshg.org/home.0.html(öffnet in neuem Fenster)
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