Ethisch vertretbare Strategien bei der Terrorismusbekämpfung
Die Terrorismusbekämpfung steht in kollektiver Verantwortung unter Mitwirkung von Militär, Polizei und Nachrichtendiensten sowie nicht-sicherheitsbezogenen Akteuren. Dies wirft allerdings oft schwierige ethische Fragen auf, wenn etwa die Rettung von Menschenleben und Menschenrechtsverletzungen gegeneinander abgewogen werden müssen. Immer wieder geht es darum, welche Strategien und Taktiken effektiv, aber auch mit den Werten liberaler Demokratien vereinbar sind und sich in gesetzlichem Rahmen bewegen. Das vom Europäischen Forschungsrat finanzierte Projekt GTCMR etablierte den relativ neuen Bereich der Terrorismusbekämpfungsethik mit, indem es die ethischen Aspekte von Maßnahmen in die Aufmerksamkeit rückte. „Unsere Forschung zeigte, unter welchen Voraussetzungen bestimmte Taktiken der Terrorismusbekämpfung zwar Grundfreiheiten einschränken, aber trotzdem ethisch gerechtfertigt sind“, erklärt Forschungsleiter Seumas Miller. „Hier kommt es vor allem darauf an, Kriterien zu haben, anhand derer sich die Vertretbarkeit von Entscheidungen prüfen lässt.“
Methodik zur Integration ethischer Aspekte
GTCMR war das erste Forschungsprojekt, das sich mit der methodischen Integration ethischer Aspekte in der Terrorismusbekämpfung befasste. Diese Methodik wurde bislang eher in der Technologiefolgenabschätzung angewandt, um Entscheidungen hinsichtlich Design, Anwendung und Zugang zu prüfen. Mit zunehmender Integration dieser Standards in die technologische Entwicklung richtet sich nach und nach auch die Arbeitskultur daran aus. Um Leitlinien zu erarbeiten, die bei politischen Entscheidungen und deren Umsetzung die ethische Richtung vorgeben, werden ethische Fragestellungen analysiert und durch empirische Daten gestützt. Ethisch kontroverse Strategien, die GTCMR im Zusammenhang mit Terrorismusbekämpfung untersuchte, waren gezieltes Töten, Sicherungsverwahrung, Zensur von Falschinformationen und Online-Inhalten, Reaktionen auf den Einsatz von Massenvernichtungswaffen und Terroranschläge, Erhebung und Speicherung von DNA-Daten, biometrische Identifikation z. B. mittels Gesichtserkennung sowie Anwendung künstlicher Intelligenz. GTCMR stützte seine Forschungen auf bisherige empirische Studien und ergänzte sie durch eigene Aktivitäten, insbesondere detaillierte Befragungen verschiedenster Interessengruppen mit Einfluss auf Politik und Praxis, z. B. ehemalige/derzeitige Leitende von Sicherheitsbehörden, u. a. auch frühere Direktoren der CIA. „Wie wir feststellten, verstoßen alle von uns untersuchten Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung potenziell gegen ethische Maßgaben und in der Regel auch gegen Gesetze, etwa das Recht auf Leben, Bewegungs- und Kommunikationsfreiheit sowie Schutz der Privatsphäre“, so Miller, „und doch können all diese Strategien unter bestimmten Voraussetzungen ethisch gerechtfertigt sein.“ Am Beispiel der Strategie „Gefangennahme oder Tötung“ erklärt Miller, dass sie unter spezifischen, strengen Voraussetzungen moralisch vertretbar sei, etwa, wenn Identität und Standort eines wichtigen Ziels nahezu sicher sind und Risiken für unbeteiligte Zivilisten fast ausgeschlossen werden können – absolute Gewissheit und Risikofreiheit existieren nicht. Diese Situation ergab sich Miller zufolge bei der Tötung Osama bin Ladens. „Zudem können zwar ethische Leitlinien entwickelt werden, aber wem die Verantwortung für eine Entscheidung zufällt und wie die Einhaltung der Leitlinien von unabhängiger Seite geprüft werden kann, ist damit nicht geklärt. Hier sind Kriterien entscheidend, mit denen Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden können“, fügt Miller hinzu.
Weitere Gesichtspunkte im Diskurs
GTCMR veröffentlichte mehrere Open-Access-Bücher, u. a. von Miller, Regan und Walsh zu ethischen Aspekten nationaler Sicherheitsaufklärung, einem Thema, dem sich bislang nur wenige Fachbücher widmen. Ein weiterer wichtiger Forschungsbeitrag befasste sich mit der Terrorismusbekämpfung im Internet, insbesondere der Diskrepanz zwischen der Bekämpfung von Online-Propaganda und der Wahrung politischer Meinungsfreiheit. Miller zufolge sollten hier Möglichkeiten zur Anonymisierung von Online-Profilen reduziert und von Bots erstellte Fake-Profile gelöscht werden, was sich durch Identitätsprüfungen beim Einrichten eines Social-Media-Accounts und Registrierung bei einer unabhängigen gesetzlichen Instanz lösen lässt. Miller leitet jetzt eine neue Forschungsgruppe zu Terrorismusbekämpfung und anderen Fragen nationaler Sicherheit an der Charles Sturt University, Australien.
Schlüsselbegriffe
GTCMR, Ethik, Sicherheit, Terrorismusbekämpfung, Propaganda, Militär, Polizei, Nachrichtendienst, Rechte, Internet