Molekularer Taktgeber der Entwicklung
Für eine einwandfreie Entwicklung von Organismen ist es erforderlich, dass die richtigen Gene zur richtigen Zeit am richtigen Ort an- und ausgeschaltet werden. Dies erfordert eine sorgfältige molekulare und zeitliche Orchestrierung der Genexpression. In vielen Systemen sind molekulare Oszillatoren (oder Uhren) wichtig für die Steuerung dieser Dynamik. Sie beruhen in der Regel auf Netzwerken von Transkriptionsfaktoren und Signalproteinen, mit denen die Expression Tausender Zielgene über Transkriptionsmechanismen rhythmisch gesteuert wird.
miRNA-Expression während der Entwicklung
Darüber hinaus sind weitere, sogenannte posttranskriptionelle Mechanismen zur Regulierung der Genexpression bekannt, die auf der RNA-Ebene stattfinden und die Stabilität und/oder den Grad der RNA beeinflussen können. Insbesondere nicht-kodierende microRNA(öffnet in neuem Fenster), kurz miRNA, sind kleine regulatorische RNA, mit deren Hilfe die mRNA nach ihrer Produktion ausgeschaltet und somit die Genaktivität beeinflusst werden kann. Das Projekt miRhythm wurde im Rahmen der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen(öffnet in neuem Fenster) finanziert. „Das Hauptziel war es, mögliche Oszillationen von miRNA-Molekülen während der Entwicklung als Treiber dynamischer Genexpressionsmuster zu untersuchen“, erklärt Marie-Skłodowska-Curie-Stipendiatin Smita Nahar. Vorhergehende Forschungsarbeiten, die hauptsächlich mit kultivierten Zellen durchgeführt wurden, deuteten darauf hin, dass miRNA relativ stabile Moleküle sind, deren Zahl sich im Laufe der Zeit kaum verändert. Als Nahar und ihr Team jedoch die miRNA-Dynamik in sich entwickelnden Larven des Fadenwurms Caenorhabditis elegans analysierten, beobachteten sie hochdynamische Veränderungen, darunter miRNA, die sich rhythmisch alle acht Stunden akkumulierten. „Wir interessierten uns dafür, wie diese Dynamik entsteht und was sie aus biologischer Sicht bedeuten könnte“, betont Nahar. Mithilfe einer mathematischen Modellierung bestimmte die Forschungsgruppe mehrere miRNA mit hochdynamischen Expressionsmustern. Um herauszufinden, welche Merkmale diese Expressionsmuster verursachen und welche Folgen eine Veränderung dieser Muster hätte, entfernte das Team die miRNA oder exprimierte sie über einen anderen, nicht oszillierenden Promotor. Dazu wurden modernste Methoden der Genomeditierung und der quantitativen Zeitraffer-Bildgebung eingesetzt. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt war die Frage, wie sich eine gestörte miRNA-Aktivität auf die Entwicklung eines Organismus auswirkt.
Dynamische miRNA-Regulierung
Die Ergebnisse zeigten, dass die miRNA selbst sowohl einer transkriptionellen als auch einer posttranskriptionellen Steuerung unterliegen, die in Verbindung miteinander die beobachteten hochdynamischen Muster während der Entwicklung erzeugen. Die quantitative Auswertung des Entwicklungstempos ermöglichte es dem Team außerdem, die Rolle der rhythmisch exprimierten miRNA bei der zeitlichen Steuerung der Entwicklung zu untersuchen. „Die wohl spannendste Erkenntnis war die Entdeckung, dass die miRNA-Spiegel im sich entwickelnden Tier in vivo hochdynamisch sind“, erläutert Nahar. „Dies deutet darauf hin, dass wir ihr regulatorisches Potenzial bislang unterschätzt haben.” Die Bestimmung von miRNA, deren Expressionsmuster sich nicht allein durch Transkription erklären lassen, führte zur Charakterisierung der posttranskriptionellen Elemente, die zu ihrer zeitlichen Expression beitragen. Zukünftige Forschungsarbeiten werden sich mit der Beschreibung dieser Mechanismen befassen, um deren Funktionsvielfalt zu verstehen. Störungen in den Mechanismen der Zeitsteuerung haben sich in letzter Zeit als eine der Hauptursachen für weltweite Gesundheitsprobleme wie Fettleibigkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und metabolische Lebererkrankungen erwiesen. Daher gehen die Auswirkungen der Erkenntnisse von miRhythm über Entwicklungsprozesse hinaus. Das Verständnis der molekularen Mechanismen, durch die die oszillierende Genexpression die zeitliche Steuerung in einem Organismus vermittelt, ist von zentraler Bedeutung für den Umgang mit solchen Störungen.