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MIcrobiota-Gut-BraiN EngineeRed platform to eVAluate intestinal microflora impact on brain functionality

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Erste Biotechnologie-Plattform modelliert Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse

Im Rahmen des Projekts MINERVA wurde das erste umfassende physikalische Modell der Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse entwickelt, das neben der Möglichkeit ernährungsbasierter Therapien auch neue Forschungswege weist.

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Obwohl neurodegenerative Erkrankungen wie die Alzheimer-Krankheit häufig sind und hohe sozioökonomische Kosten verursachen, bleiben ihre Auslöser bisher im Verborgenen. Eine mögliche Quelle des Übels könnte im Zusammenhang zwischen dem Gehirn, dem Darm und seiner Mikroflora begründet sein. Diese Forschungsrichtung wurde erstmals vor 100 Jahren vorgeschlagen und legt den Schluss nahe, dass einige neurodegenerative Erkrankungen durch die Ernährung und den Lebensstil beeinflusst werden. „Wir können jetzt beweisen, dass Alterung, schlechte Ernährung und Stress die Darmflora beeinflussen, und es häufen sich die Daten, die auf Auswirkungen auf die Funktionalität des Gehirns hindeuten. Aber es mangelt uns an In-vitro-Forschungsinstrumenten, um von der Korrelation zur Kausalität zu gelangen“, erklärt Carmen Giordano, Koordinatorin des Projekts MINERVA, das vom Europäischen Forschungsrat (ERC) finanziert wurde. MINERVA hat die erste technisierte Multiorganplattform entwickelt, welche die wichtigsten biologischen Zusammenhänge entlang der Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse modelliert. „Das ist wirklich ein bahnbrechender Erfolg in der Erforschung der biochemischen Mechanismen, die der Hypothese über Mikrobiota und neurodegenerative Erkrankung zugrunde liegen, und ebenso bei der Suche nach ernährungsbasierten Behandlungen“, ergänzt Giordano, außerordentliche Professorin am Polytechnikum Mailand, an dem das Projekt angesiedelt ist.

Bahnbrechende Multiorganplattform

Die Multiorganplattform von MINERVA besteht aus drei miteinander verbundenen, kompartimentähnlichen Fächern. In ihnen sind jeweils patentierte millimeterkleine Organ-on-a-Chip-Fluidikvorrichtungen untergebracht, die mit Zellmodellen bestückt sind, welche die wichtigsten Eigenschaften des Gehirns und der Blut-Hirn-Schranke, des Darmepithels und des Immunsystems sowie der Mikrobiota repräsentieren. Diese Vorrichtungen sind hydraulisch miteinander verbunden, um den Transport entlang der Achse bioaktiver Moleküle, vor allem des von der Mikrobiota produzierten Sekretoms, zu simulieren. Die In-vitro-Zellmodelle innerhalb dieser Vorrichtungen wurden derart biotechnologisch ausgestaltet, dass sie die wichtigsten Merkmale der jeweiligen biologischen Systeme nachbilden. Das Mikrobiota-Kompartiment kann zum Beispiel Bakterien innerhalb einer dreidimensionalen Polymermatrix kultivieren, die den Darmschleim, eine Schlüsselkomponente des Darmepithels, modelliert. Im Gehirn-Kompartiment simuliert ein neues dreidimensionales Gehirnzellmodell das Hirngewebe und andere biologische Merkmale, und das sowohl unter normalen physiologischen als auch unter normalen pathologischen Bedingungen.

Validierung der Plattform

Die Plattform repräsentierte sowohl den gesunden Zustand als auch neurodegenerative Erkrankungen. Im Gehirn-Kompartiment wurden zwei Kultivierungsumgebungen eingerichtet. Neuronen, Astrozyten und Mikroglia – die wichtigsten Zellen des Gehirns – wurden gemeinsam kultiviert, um die Auswirkungen der Darmflora zu untersuchen, und sie wurden zudem einzeln kultiviert, um den Einfluss der Mikrobiota auf jeden einzelnen Zelltyp zu erkunden. Von der menschlichen Darmflora ist bereits bekannt, dass sie Gehirnzellen durch Aktivierung ihres Neuroimmunsystems schädigt. Das Team kultivierte nun diese Mikrobiota des Menschen zusammen mit der kompletten Darmflora aus Spenden von an Alzheimer Erkrankten und Gesunden, nachdem eine Interaktion mit Darmschleim erfolgt war. Das resultierende Sekretom floss dann durch die mit Zellen ausgestattete Plattform und anschließend wurde die Reaktion der Gehirnzellen bewertet. „Beim Vergleich von gesunden und neurodegenerativen Szenarien beobachteten wir genau dieselbe Reaktion der Gehirnzellen auf schädliche Stimuli der Mikrobiota, wie sie in der Literatur beschrieben und von den Betroffenen durchlebt wird. Hier bestätigt sich, dass mit unserem biotechnologischen Ansatz und unserem Instrument die Auslöser zwischen Mikrobiota und Gehirn zu finden sein könnten“, sagt Giordano.

Die Zukunft der Krankheitsmodellierung

MINERVA leistet einen Beitrag zum neu in Erscheinung tretenden Gebiet der Krankheitsmodellierung sowie liefert Anregungen zu einem neuen Bereich, der Biotechnologie und Neurowissenschaften miteinander verbindet und der Erforschung weiterer Erkrankungen wie zum Beispiel Autismus, Multipler Sklerose und Autoimmunkrankheiten dienen könnte. Zudem könnten die Auswirkungen von Antibiotika oder anderen Medikamenten auf den Körper ebenfalls modelliert werden. Da die menschliche Darmflora durch Ernährung veränderbar ist, wird diese Arbeit bedeutende Veränderungen bei Behandlungen dieser Art bewirken. Durch die Einführung ausgewählter Präbiotika (Lebensmittelzutaten) und Probiotika (gesundheitsfördernde Bakterienstämme) könnte die Plattform Unterstützung dabei leisten, geeignete Ernährungsumstellungen und Veränderungen im Lebensstil zu ermitteln, und auf diese Weise wirksame, nichtinvasive Präventions- und Therapiestrategien anzubieten. „Dank der Vielseitigkeit unseres Versuchsmodells können die Forschenden die zellulären und molekularen Mechanismen erkunden, die potenziell allen schweren Multiorganerkrankungen zugrunde liegen“, so Giordano. Neben zahlreichen Gelegenheiten zur Förderung der Arbeit von MINERVA erhielt Giordano 2019 eine Proof-of-Concept-Finanzhilfe des ERC für das Projekt DIANA, das sich mit der auf das Gehirn abzielenden Suche nach Wirkstoffen befasst. Außerdem erhielt sie Mittel für das Projekt MIUR-FARE PEGASO (des italienischen Ministeriums für Universitäten und Forschung), das die MINERVA-Plattform der Erprobung für die personalisierte Medizin unterzieht.

Schlüsselbegriffe

MINERVA, Mikrobiota, Darmflora, Darm, Gehirn, Alzheimer-Krankheit, neurodegenerativ, Ernährung, Neuronen, Bakterien, Organ-on-a-Chip

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