Wissen, Kapital und Arbeit: Netzwerke des Austauschs
Hierbei handelt es sich um eine KI-Transkription.
00:00:16:03 - 00:00:46:23
Abigail Acton
Herzlich willkommen zu dieser Folge von CORDIScovery. Ich bin Abigail Acton und begrüße Sie. In einer Zeit, in der die Worte Zölle, Wirtschaftswachstum, Welthandel und Sanktionen ständig im Gespräch sind, wird uns allen die Wirtschaft und die Verflechtung der Märkte immer bewusster. Was kann uns die Antike über die Entwicklung von Tauschnetzen und die Auswirkungen auf interimperiale Volkswirtschaften sagen, und kann damit Licht in unsere heutige Situation gebracht werden? Von den frühen wirtschaftlichen Aktivitäten entlang der Seidenstraße und darüber hinaus bis zum Brasilien von heute?
00:00:47:00 - 00:01:15:05
Abigail Acton
Welche unerwarteten Auswirkungen hat die Verlagerung der Arbeit aus der Landwirtschaft in die industrielle Fertigung? Neben der Erkundung der Bewegungen von Kapital und Arbeit werden auch die wirtschaftlichen Merkmale eines bestimmten Marktes, in diesem Fall des Gesundheitswesens, betrachtet. Geht es fair und gerecht zu, und wenn nicht, warum, und wie können Verbesserungen herbeigeführt werden? Über diese Fragen und viele weitere interessante Themen sprechen hier nun drei Forscherinnen, die in Form von Wissenschaftsfinanzierung von der EU unterstützt wurden.
00:01:16:17 - 00:01:32:16
Abigail Acton
Sitta von Reden ist Professorin für Alte Geschichte an der Universität Freiburg in Deutschland. Sie leitet in Freiburg ein interdisziplinäres Graduiertenkolleg zum Thema Imperien. Ihr Hauptinteresse gilt der antiken Wirtschaft, dem Geld und der antiken Weltgeschichte. Herzlich willkommen, Sitta.
00:01:32:22 - 00:01:36:06
Sitta von Reden
Hallo Abigail. Schön, hier zu sein.
00:01:36:08 - 00:01:50:11
Abigail Acton
Schön, dass Sie dabei sind. Paula Bustos ist Forschungsprofessorin an der Universität Pompeu Fabra und assoziierte Professorin an der Barcelona School of Economics. Sie führt empirische Untersuchungen zur wirtschaftlichen Entwicklung durch, die sich an der Außenhandelstheorie orientieren. Hallo Paula.
00:01:50:17 - 00:01:52:22
Paula Bustos
Danke, Abigail. Ich bin froh, hier dabei zu sein.
00:01:52:24 - 00:02:14:18
Abigail Acton
Fantastisch. Susi Geiger ist Professorin für Märkte, Organisationen und Gesellschaft am College of Business des University College Dublin. Bei ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit der Organisation von Märkten, insbesondere in den Bereichen Gesundheitsversorgung und Technologie, und sie denkt viel über alternative Wege zur Organisation dieser Märkte nach, die besser auf den öffentlichen Wert und das Gemeinwohl ausgerichtet sein könnten. Herzlich willkommen, Susi.
00:02:14:24 - 00:02:16:23
Susi Geiger
Ich bin glücklich darüber, hier dabei zu sein, Abigail. Vielen Dank.
00:02:17:00 - 00:02:31:21
Abigail Acton
Sitta, ich wende mich zuerst an Sie. Im Rahmen des Projekts BaSaR wurde die Rolle interimperialer Zonen und kleiner bis mittelgroßer regionaler Austauschnetzwerke im antiken Trans-Eurasien betrachtet. Ich weiß, dass Sie der Meinung sind, dass der Begriff der Seidenstraße etwas zu kurz greift. Können Sie uns erläutern, warum?
00:02:31:23 - 00:03:00:24
Sitta von Reden
Nun, die Seidenstraße war zunächst sehr wichtig, um zu verstehen, dass die afro-eurasische Welt von Ostasien bis Europa in irgendeiner Weise miteinander verbunden war. Und dass es nicht nur kleine Städte, Staaten und Agrargesellschaften gab, die ihr eigenes Leben führten. Gleichermaßen war das ein sehr wichtiger Schritt in Richtung Weltgeschichte. Aber ich denke, wir sind diesen Schritt gegangen. Und nun, einhundert Jahre später, sieht es so aus, als müssten wir das etwas hinter uns lassen.
00:03:01:01 - 00:03:28:09
Sitta von Reden
Und genau das haben wir versucht, in die Realität umzusetzen. Denn wenn wir uns ansehen, wie die Routen durch Eurasien für Waren und Menschen genutzt wurden, ist ebenfalls zu erkennen, dass der Begriff Seidenstraße keine gute Idee ist, da es viele Routen gab, auf denen es nicht nur um Seide ging und nicht nur Luxusgüter transportiert wurden. Zudem wurde uns bewusst, wie viele ideologische Hintergründe mit dieser Seidenstraße verknüpft sind.
00:03:28:10 - 00:03:55:09
Sitta von Reden
Wir kennen das von der aktuellen Initiative „One Belt, One Road“, die als „Neue Seidenstraße“ bezeichnet wird. Aber auch als dieser Begriff von einem deutschen Geografen, Ferdinand von Richthofen, erfunden wurde, verbarg sich dahinter durchaus die Vorstellung, dass China kolonisiert werden könnte und wo Eisenbahnlinien gebaut werden sollten. Wir dachten deshalb, dass es sich um ein ideologisch schwieriges und auch grob vereinfachtes Konzept handelt, da es uns nicht verrät, wie es die Menschen nutzten.
00:03:55:11 - 00:04:04:05
Abigail Acton
Ich verstehe. Es zeigt nicht wirklich die Komplexität und die Vielfalt der Interaktionen. Und es ist, wie Sie sagen, zu stark vereinfacht. Welcher Zeitraum hat Sie bei den Untersuchungen besonders interessiert? Sitta, berichten Sie bitte.
00:04:04:08 - 00:04:30:13
Sitta von Reden
Nun, wir haben uns die Zeit ab 300 v. Chr., wie wir es jetzt nennen, somit vor der christlichen Zeitrechnung, bis 300 n. Chr. angesehen, denn diese 600 Jahre waren eine Zeit, die besonders stark von der Bildung von Reichen geprägt war. Wir hatten die Quin- und Han-Dynastie in China. Es gab die zentralasiatischen Reiche nach Alexander dem Großen, wir sahen das Maurya-Reich im Süden, in Südasien.
00:04:30:15 - 00:04:45:21
Sitta von Reden
Nach der Zeit von Alexander dem Großen gab es natürlich die hellenistischen Reiche, und nach dem Hellenismus das Römische Reich. Es war eine eigentümliche Periode intensiver Bildung von Reichen, die wir als sehr wichtig für diesen transimperialen Austausch empfanden.
00:04:46:00 - 00:05:01:02
Abigail Acton
Sicher. Das ist leicht zu verstehen. Ist es Ihnen dabei gelungen, festzustellen, ob dieser Handelsverkehr und dieser Fluss von Ideen und die Ströme der an diesem großen Handelsaustausch beteiligten Menschen Auswirkungen auf die Art und Weise hatten, wie das Reich funktionierte und aufgebaut wurde?
00:05:01:05 - 00:05:28:00
Sitta von Reden
Ja. Ich denke, dass sie dafür sehr wichtig waren, denn vor allem an den imperialen Höfen wurden gern exotische Waren konsumiert. Der Han-Kaiser wünschte sich eines Tages ein Nashorn aus Südasien, also musste das importiert werden, oder Cäsar beschwerte sich, dass die Frauen in Rom, die Frauen der Elite, Seidenkleider wollten, die so durchscheinend sind, dass sie kaum überhaupt etwas zu tragen schienen.
00:05:28:02 - 00:05:40:22
Sitta von Reden
Es gab ein großes Interesse an diesen Luxusgütern, nicht nur, um sich zu profilieren, sondern auch, um als Herrscher zu zeigen, dass man über die Macht verfügte, diese Dinge zu bekommen.
00:05:40:24 - 00:05:51:15
Abigail Acton
Okay. Mich würde interessieren, wie Ihre Methodik aussah, und ich würde auch gern erfahren, was dabei herauskam, denn ich bin neugierig, ob uns die Vergangenheit etwas über die Gegenwart lehren kann.
00:05:51:17 - 00:06:19:03
Sitta von Reden
Nun, unser erklärtes Ziel bestand darin, ein dreibändiges Handbuch oder einen Leitfaden zu schreiben, sodass normale Leute, die keine alte chinesische Sprache, kein Latein und Griechisch, Sanskrit oder Parthisch und all diese in Asien gesprochenen Dialekte beherrschen, in einer einfachen Sprache über Eurasien nachlesen können.
00:06:19:03 - 00:06:37:23
Sitta von Reden
Nicht in Leichter Sprache, aber in einer normalen, übersetzten Sprache. Damit die Menschen in der Lage sind, diese Reiche zu vergleichen, ohne über archäologisches Wissen verfügen und literarische Texte und so weiter kennen zu müssen. Darin bestand unser Hauptziel, diese große Geschichte zugänglich zu machen.
00:06:38:04 - 00:06:48:10
Abigail Acton
Und was hat das Projekt tatsächlich bewirkt? Wir wissen jetzt, dass diese Handelswege existieren. Was haben Sie unternommen, um tiefer zu graben und herauszufinden, welchen Einfluss diese Handelswege auf die lokale Sozioökonomie ausübten?
00:06:48:12 - 00:07:05:21
Sitta von Reden
Wir untersuchten antike Texte, Inschriften, Papyri und Papyrusdokumente, die die Zeiten unter trockenen Bedingungen wie sie in der ägyptischen Wüste und in anderen Wüsten herrschen, überstanden haben. Auch Pergamenthaut, Inschriften, Münzen.
00:07:05:21 - 00:07:06:17
Abigail Acton
Um wonach zu suchen?
00:07:06:21 - 00:07:31:17
Sitta von Reden
Nach der Art und Weise, wie die Menschen miteinander agierten. Und danach, welche Beziehungen sie eingingen und mit wem sie interagierten, welche Netzwerke – und das ist einer unserer Schlüsselbegriffe – sie schufen und wer die Menschen waren, die diese Netzwerke mit bestimmten Werkzeugen, wie wir es nannten, mit bestimmten Instrumenten der Interaktion aufbauten.
00:07:31:23 - 00:07:35:09
Abigail Acton
Aha, Instrumente der Interaktion. Was könnte das sein? Bargeld?
00:07:35:11 - 00:07:52:20
Sitta von Reden
Zum Beispiel Münzen oder Töpferwaren, feine Töpferwaren, mit denen einige Eliten versuchten, sich zu profilieren, indem sie sie benutzten und kauften und sie auch untereinander verschenkten und so weiter. Das waren die Instrumente der Interaktion.
00:07:52:20 - 00:07:53:04
Abigail Acton
Ich verstehe. Wunderbar.
00:07:53:04 - 00:08:05:02
Sitta von Reden
Dann verfügten die Staaten natürlich auch über Instrumente, um die Menschen zu besteuern oder sie für den Militärdienst bezahlen zu lassen und ähnliches. Es ging um alles, worüber Menschen miteinander in Kontakt kommen.
00:08:05:07 - 00:08:13:06
Abigail Acton
Konnten Sie etwas finden, das darauf hindeutet, dass bis zu einem bestimmten Punkt extreme Zölle galten, die sich dann irgendwann auf die Warenströme auswirkten?
00:08:13:08 - 00:08:51:15
Sitta von Reden
Nun, die Chinesen waren der Meinung, dass die Parther, die im Iran lebten und ihn beherrschten, Steuern erhoben, und sie hatten eine gemeinsame Grenze in dem Gebiet, das wir heute Zentralasien, Usbekistan, Tadschikistan nennen. Sie hatten das Gefühl, dass die Parther sie nicht hineinließen und den gesamten Handel für sich behalten wollten. Das ist jedoch sehr unwahrscheinlich und scheint eine eher negative Sichtweise zu sein, in der die Han die Parther sahen. Denn wir können zum Beispiel nachvollziehen, dass die Römer in der östlichen Wüste in Ägypten, wo der gesamte Handel mit dem Indischen Ozean hereinkam und einen enormen Wert hatte, diesen sehr stark besteuerten, und zwar mit 25 %.
00:08:51:20 - 00:09:14:10
Sitta von Reden
Es hat diesen Handel nicht aufgehalten, und das vor allem, da die Leute, die in diesen Handel involviert waren, wie wir herausfanden, auch sehr stark in den Staat involviert waren, und das nicht als staatliche Akteure, sondern weil sie Zugang zu anderen imperialen Höfen hatten, weil sie sehr gut vernetzt waren und so weiter.
00:09:14:16 - 00:09:28:16
Sitta von Reden
Sie brauchten somit nicht wirklich gegen den Staat zu kämpfen. Sie handelten als Privatpersonen und nahmen alle Gewinne für sich in Anspruch, es hat sie also wahrscheinlich nicht so sehr gestört, dass ihre Waren besteuert wurden.
00:09:28:16 - 00:09:35:16
Abigail Acton
Ich verstehe, es war ein gewaltiges Unterfangen. Richtig. Somit scheint es nicht darauf hinzudeuten, dass dies den Handel verlangsamt oder in irgendeiner Weise behindert hat. Es lief trotzdem sehr gut.
00:09:35:16 - 00:09:37:06
Sitta von Reden
Zumindest nicht in der östlichen Wüste.
00:09:37:08 - 00:09:46:05
Abigail Acton
Großartig. Der Handel gedieh trotzdem. Das ist ausgezeichnet. Gab es irgendwelche Überraschungen, auf die Sie gestoßen sind? Gibt es etwas, das Ihnen bei den Projektergebnissen besonders aufgefallen ist?
00:09:46:11 - 00:10:11:16
Sitta von Reden
Nun, wenn ich nicht mit Fachleuten gesprochen hätte, würde ich wahrscheinlich ja sagen. Nun, wir wussten das eigentlich schon vorher, aber es war wirklich überraschend, wie sehr die sesshaften agrarischen Eliten einerseits und Menschen mit nomadischem Hintergrund andererseits miteinander interagierten, und dass diese besondere Interaktion äußerst fruchtbar war und üblicherweise den transimperialen Handel im Wesentlichen oder in erheblichem Maße anregte.
00:10:11:20 - 00:10:43:24
Sitta von Reden
Der Grund, warum das so war, so scheint es uns, ist, dass die sesshaften Gesellschaften sehr aktiv und sehr gut darin sind, Werte vor Ort zu erschaffen, denn dort, wo sie waren, gab es Städte, und Städte sind sehr produktive Orte, aber nomadische Völker sind sehr mobil und legen sehr weite Strecken zurück. Und diese Art der Verschmelzung von lokaler Intensität und weniger intensiver wirtschaftlicher Aktivität über große, weite Entfernungen hinweg scheint sehr fruchtbar gewesen zu sein.
00:10:44:13 - 00:10:52:16
Sitta von Reden
Somit verstehen wir in Zentralasien den Grund dafür, warum ein Ort wie Samarkand dermaßen wichtig für die Seidenstraße wurde.
00:10:52:18 - 00:11:03:11
Abigail Acton
Richtig. Das ist wirklich ein Thema, dass allem zugrunde liegt. Genau. Spannend. Ich danke Ihnen vielmals, Sitta. Sie haben das wundervoll erklärt. Möchte sich jemand mit Anmerkungen oder Kommentaren an Sitta wenden? Ja. Paula, wie lautet Ihre Frage?
00:11:03:13 - 00:11:32:22
Paula Bustos
Ja. Dazu habe ich eine Frage. Was die Ungleichheit im Handel zu dieser Zeit angeht, so scheint es der Fall zu sein, dass die Bildung von Imperien eine wohlhabende Elite hervorbrachte, die diese Luxusgüter nachfragen konnte. War das eine notwendige Bedingung, damit dieser Handel florieren konnte, oder gab es andere Waren, die gehandelt wurden und von einem größeren Teil der Bevölkerung unabhängig von dieser Elite nachgefragt werden konnten?
00:11:32:24 - 00:11:34:06
Abigail Acton
Das ist eine gute Frage.
00:11:34:08 - 00:12:18:12
Sitta von Reden
Das ist eine sehr interessante Frage. Der Begriff „Seidenstraße“ suggeriert, dass es stets Luxusgüter waren, die entlang dieser Route transportiert wurden. Und es geht, wie wir offensichtlich aus der Ferne sehen, um Seide, chinesische Seide in Palmyra oder chinesische Spiegel in einer Grabstätte im Dom-Tal, zum Beispiel, oder römische Münzen in Thailand. Ja, denn das sind offensichtlich Goldmünzen und Goldimitate, Luxusgüter. Und gewöhnliche Dinge wie Getreide und Medikamente oder medizinische Produkte und solche Dinge sehen wir in den archäologischen Aufzeichnungen nicht. Wir können sie jedoch wieder in Palmyra entdecken, einem sehr wichtigen Ort für diese Forschung.
00:12:18:12 - 00:12:36:03
Sitta von Reden
Denn dort finden wir Handelszölle für Dinge, die auf den Markt kommen, dort haben wir teure Öle und Parfümöle und solche Dinge. Aber wir sehen gleichermaßen, dass die Leute Esel mitbringen und dafür besteuert werden und sie bringen Getreide und so weiter. Also alles gelangte auf den Markt.
00:12:36:06 - 00:12:59:21
Abigail Acton
Perfekt. Ich danke Ihnen vielmals. Ausgezeichnet, wunderbar. Ich wende mich jetzt an Sie, Paula. Im Rahmen des Projekts EDST wurden Erkenntnisse aus brasilianischen Gemeinschaften herangezogen, um den Strukturwandel zu verstehen, der sich aus der Verlagerung von Kapital und Arbeit in andere Sektoren ergibt. Ich denke, das ist sehr interessant, denn jetzt bringen wir das auf den neuesten Stand, und wir schauen uns einen bestimmten Ort an. Ich weiß, dass Sie auch daran interessiert sind, wie Volkswirtschaften wachsen.
00:12:59:21 - 00:13:04:00
Abigail Acton
Können Sie mir sagen, wie sich die Debatte über das Wachstum in den Entwicklungsländern gestaltet, Paula?
00:13:04:02 - 00:13:33:01
Paula Bustos
Ja, danke, Abigail. Eine klassische Debatte in der Entwicklungsökonomie, die uns inspiriert hat, ist die Frage, ob die Entwicklungsländer denselben Entwicklungsweg einschlagen können, wie ihn die europäischen Volkswirtschaften in der Vergangenheit verfolgten. Viele Geschichtsforschende argumentieren zum Beispiel, dass vor der industriellen Revolution in England technische Verbesserungen in der Landwirtschaft den Arbeitsbedarf in ländlichen Gebieten verringerten und das bäuerliche Einkommen erhöhten.
00:13:33:03 - 00:14:08:10
Paula Bustos
Diese führten zu einer Abwanderung ländlicher Arbeitskräfte in die Städte, zur Nachfrage nach Industrieprodukten und zu Ersparnissen bei der Finanzierung von Industrieprojekten. In etlichen Entwicklungsländern ist dieser Prozess jedoch noch nicht in Gang gekommen. Eine mögliche Erklärung dafür lautet, dass in einer globalen Wirtschaft landreiche Entwicklungsländer wie die in Lateinamerika oder Afrika auf die Landwirtschaft spezialisiert bleiben und diese landwirtschaftlichen Güter exportieren, Produktionsgüter importieren und Ersparnisse exportieren können.
00:14:08:13 - 00:14:10:12
Abigail Acton
Was verstehen Sie darunter, Ersparnisse zu exportieren?
00:14:10:14 - 00:14:35:06
Paula Bustos
Das bedeutet, dass sich das Einkommen auf einige wenige reiche landwirtschaftliche Unternehmen oder, im Falle des Bergbaus, auf die die Minen Besitzenden konzentrieren kann, und dass dieses Geld nicht vor Ort ausgegeben oder investiert wird, sondern dass diese Ersparnisse in Investitionen in den USA oder in anderen reichen Ländern fließen. Denn sie verfügen über besser entwickelte Finanzsysteme.
00:14:35:08 - 00:14:55:11
Paula Bustos
Eine Sorge besteht also darin, dass diese positiven Verbindungen zwischen Landwirtschaft, verarbeitendem Gewerbe und Dienstleistungen, die in der Vergangenheit in den europäischen Volkswirtschaften oder in den USA entstanden sind, in diesen Entwicklungsländern aufgrund der Offenheit sowohl des Handels als auch der Finanzmärkte nicht mehr funktionieren könnten.
00:14:55:11 - 00:15:19:02
Abigail Acton
Somit stellen wir fest, dass die historische Entwicklung von einer Agrarwirtschaft hin zu einer stärker auf die Fertigung ausgerichteten Wirtschaft, wie wir sie in Europa und, wie Sie sagen, auch in Amerika beobachtet haben, in einigen Entwicklungsländern nicht wirklich funktionieren kann. Ich verstehe. Paula, worauf haben Sie sich konzentriert, als Sie überlegten, ob dies als Modell angewandt werden oder ob es nicht eine Einheitslösung geben kann?
00:15:19:04 - 00:15:51:17
Paula Bustos
Nun. Unser Ziel war, empirische Beweise für die Entwicklungsländer der Gegenwart zu erbringen, da uns qualitativ hochwertige empirische Beweise fehlten, um herauszufinden, ob diese Zusammenhänge heute bestehen oder nicht. Um gute empirische Beweise zu erbringen, mussten wir ein natürliches Experiment finden, das es uns ermöglichte, Regionen, die neue landwirtschaftliche Technologien anwenden, die ihre Produktivität in diesem Sektor erhöhen, mit ähnlichen Regionen zu vergleichen, die diese Technologien nicht anwenden.
00:15:51:19 - 00:16:21:08
Paula Bustos
Dann erhielten wir die Gelegenheit, die jüngste Einführung genetisch veränderter Pflanzen zu erforschen, die weltweit eine der größten Innovationen in der Landwirtschaft darstellt. Sie führte in mehreren lateinamerikanischen Ländern zu einem starken Aufschwung in der landwirtschaftlichen Erzeugung. Um jedoch diesen kausalen Effekt des landwirtschaftlichen Booms von anderen zeitgleichen Ereignissen zu isolieren, mussten wir die vom Aufschwung beeinflussten Gebiete mit anderen, sehr ähnlichen Gebieten vergleichen.
00:16:21:10 - 00:16:43:05
Paula Bustos
Brasilien bildete ein perfektes Land für diesen Zweck, einfach weil es dasselbe Land ist. Es unterliegt vielen ähnlichen Erschütterungen oder Veränderungen für verschiedene Gebiete, aber die Geografie ist sehr unterschiedlich. In einigen Bereichen führte die neue Technologie zu einer sehr großen Produktivitätssteigerung, während in anderen Bereichen die Auswirkungen nicht sehr groß ausfielen.
00:16:43:07 - 00:16:49:24
Abigail Acton
Oh, das ist großartig. Es ist somit fast wie ein Laborexperiment, da eine einheitliche Ausgangsbasis vorhanden ist.
00:16:49:24 - 00:16:50:20
Paula Bustos
Ganz genau.
00:16:51:00 - 00:17:02:10
Abigail Acton
Denn es handelt sich um dasselbe Land, aber die Reaktion auf etwa eine Produktivitätssteigerung in einem Bereich kann isoliert betrachtet werden. Die Frage ist dann :Was passiert, wenn das in einem anderen Gebiet nicht geschieht? Das ist fantastisch.
00:17:02:10 - 00:17:08:18
Paula Bustos
Genau. Die Idee besteht darin, dass die anderen Gebiete eine gute Kontrollgruppe bilden könnten. In gewisser Weise.
00:17:08:23 - 00:17:21:19
Abigail Acton
Ja, eine Kontrollgruppe genau wie im Labor. Natürlich. Was haben Sie sich dabei eigentlich angesehen? Um welche Beweise ging es? Sie sprachen von empirischen Beweisen. Auf welche Anhaltspunkte haben Sie geachtet, um die Unterschiede festzustellen?
00:17:21:20 - 00:17:46:15
Paula Bustos
Nun. Ein weiterer Vorteil Brasiliens ist, dass qualitativ hochwertige Mikrodaten zur Verfügung stehen. Auf diese Weise konnten wir alle interessierenden Variablen direkt beobachten und die Arbeitskräfte über verschiedene Beschäftigungssektoren in den Regionen hinweg verfolgen. Außerdem konnten wir dem Kapital folgen, da wir Bankdaten nutzen konnten, die es uns ermöglichten, Kapitalströme innerhalb des Landes zu verfolgen, was eine sehr einzigartige Sache war.
00:17:46:17 - 00:17:50:20
Paula Bustos
Das war der große Vorteil dieser Studie.
00:17:51:00 - 00:17:52:07
Abigail Acton
Und was hat Ihnen das alles gezeigt?
00:17:52:11 - 00:18:19:11
Paula Bustos
Als erstes haben wir festgestellt, dass sich diese Technologie als arbeitssparend erwies. Das bedeutet, dass die landwirtschaftliche Produktion zwar zunahm, die Arbeitskräfte aber aus den ländlichen Gebieten freigesetzt wurden und in den lokalen Industriesektoren eine Beschäftigung fanden, sodass sie nicht in andere Regionen abwanderten, sondern in der Region blieben und die industrielle Beschäftigung in diesen Regionen stark zunahm. Wir fanden diesen positiven Zusammenhang in den Daten.
00:18:19:13 - 00:18:49:12
Paula Bustos
Die aus der Landwirtschaft abgewanderten Arbeitskräfte waren jedoch ungelernt, was bedeutete, dass die sie einstellenden Unternehmen hochqualifizierte Arbeitskräfte einstellen mussten, um sie anzuleiten. Und sie warben diese hochqualifizierten Arbeitskräfte aus den lokalen Hightech-Industrien ab, die darunter litten, diese hochqualifizierten Arbeitskräfte zu verlieren und an Innovation einbüßten. Somit kam es zwar zu einer Zunahme der Größe des lokalen Industriesektors, jedoch auch zu einem Rückgang seiner Qualität in Hinsicht auf die Innovationstätigkeit.
00:18:49:14 - 00:18:50:15
Abigail Acton
Spannend.
00:18:50:17 - 00:19:17:17
Paula Bustos
Genau. Was die Arbeit und das Kapital anbelangt, so waren die Erkenntnisse insofern sehr unterschiedlich, als wir feststellten, dass diese neue Technologie die landwirtschaftlichen Gewinne erheblich steigerte und landwirtschaftlichen Betriebe sehr reich wurden. Und diese Landwirtinnen und Landwirte vertrauten einen großen Teil dieses Geldes den örtlichen Banken an. Einer der positiven Aspekte der Industriellen Revolution in England bestand in der Reinvestition von Ersparnissen in industrielle Projekte.
00:19:17:19 - 00:19:45:04
Paula Bustos
Als wir dann aber die lokale Kreditvergabe untersuchten, stellten wir fest, dass das hier nicht der Fall war. Es wurde nicht vor Ort verliehen. Wir dachten erst, dass die Lage hoffnungslos sei. Aber dann wurde uns klar, dass viele Banken in Brasilien über Netzwerke verfügen, die sich über ländliche und städtische Gebiete erstrecken. Wir verfolgten das Geld über diese Netzwerke und stellten fest, dass diese Banken die Ersparnisse in die städtischen Gebiete an der Küste umlenkten.
00:19:45:06 - 00:20:04:07
Paula Bustos
Dort konnten wir sie bis hin zu den Unternehmen verfolgen, und sie investierten in Firmen des Industrie- und Dienstleistungssektors. Diese Unternehmen steigerten die Beschäftigung und erhöhten die Löhne. Das Ganze wirkte sich also positiv auf die Entwicklung dieser Sektoren aus. Jedoch in diesen weit entfernten Regionen.
00:20:04:07 - 00:20:22:22
Abigail Acton
Es erinnert mich irgendwie an die Vorstellung, einen Kieselstein in einen Teich zu werfen und einfach nur zuzusehen, wie sich die Wellen immer weiter und weiter und weiter ausbreiten. Tatsächlich sind die Auswirkungen dermaßen weitreichend. Genau. Und die Folgen umfassend. Fantastisch. Wenn Sie nun ein wenig in die Zukunft schauen, Paula, was denken Sie, welche Auswirkungen werden Ihre Erkenntnisse haben?
00:20:22:22 - 00:20:25:07
Abigail Acton
Was sagt uns das Ganze? Was können wir lernen?
00:20:25:09 - 00:21:07:09
Paula Bustos
Nun. Um auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen, inwieweit die Entwicklungsländer heutzutage aufgrund ihrer Offenheit Gefahr laufen, auf die Landwirtschaft spezialisiert zu bleiben und den Übergang nicht zu schaffen. Wir haben das nicht festgestellt. Wir haben diese positiven Verbindungen über die Arbeitsmärkte, über die Kapitalmärkte gefunden. Aber ich denke, die Feststellung, dass es zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften gibt, der die Innovation beeinträchtigt, bedeutet, dass Investitionen in landwirtschaftliche Technologien mit Investitionen in die Bildung gekoppelt werden müssen, damit sich der Qualifikationsgrad im verarbeitenden Gewerbe nicht verschlechtert und kein Rückgang der Innovation auftritt.
00:21:07:11 - 00:21:29:01
Paula Bustos
Und was die Kapitalmärkte betrifft, so verfügt Brasilien über einen sehr integrierten Kapitalmarkt. Es gibt eine Vielzahl von Banken. Sie erstrecken sich in ländliche und städtische Gebiete. Dies ist jedoch in vielen anderen Entwicklungsländern nicht der Fall. Eine Lehre lautet, dass diese Kapitalmarktintegration über Regionen hinweg, durch Banken, die sowohl ländliche als auch städtische Zweigstellen aufweisen, sehr positiv zu bewerten ist.
00:21:29:07 - 00:21:48:19
Paula Bustos
Brasilien hat schon immer eine aktive Politik betrieben, damit landwirtschaftliche Betriebe Kredite von Banken usw. erhalten können. Die Banken wurden gewissermaßen gezwungen, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Einlagen für Kredite in ländlichen Gebieten zu verwenden. Eine aktive Politik zur Anbindung dieser ländlichen Gebiete über den Bankensektor erscheint daher ebenfalls sinnvoll.
00:21:48:21 - 00:21:56:09
Abigail Acton
Das klingt einfach wunderbar. Ich danke Ihnen vielmals. Fantastisch. Wie interessant. Hat jemand Anmerkungen oder möchte Fragen an Paula stellen? Ja bitte, Susi, was möchten Sie fragen?
00:21:56:14 - 00:22:25:03
Susi Geiger
Nun. Das ist wirklich super spannend, Paula. Mir gefällt besonders die Art, wie Sie ein natürliches Experiment durchgeführt haben. Im Grunde ist alles startklar, einschließlich Kontrollgruppen und allem. Aber eine der Fragen, die mir in den Sinn kam, als Sie sprachen, war, ob Sie auch multinationale Unternehmen kontrollieren, denn ich kann mir vorstellen, dass viele multinationale Firmen in der brasilianischen Landwirtschaft tätig sind und dass sie das Kapital doch sofort aus dem Land abziehen würden.
00:22:25:05 - 00:22:48:05
Paula Bustos
Ja. Das ist tatsächlich etwas, das uns Sorgen bereitet hat. Die Wahrheit ist, dass wir deshalb die Ersparnisse nicht im lokalen Bankensystem finden. Das waren die erste Bedenken, die wir hatten, als wir keine lokalen Auswirkungen feststellen konnten, dass dieses Geld nicht lokal verliehen wurde. Wir dachten, okay, dieses Geld geht wohl nach New York, geht woanders hin.
00:22:48:05 - 00:23:15:17
Paula Bustos
Es wird eher nicht in Brasilien bleiben. Wir waren regelrecht überrascht, als wir feststellten, dass es doch dort bleibt. Unsere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass ein großer Teil der Gewinne im Lande bleibt. Das hängt auch mit dem Grundbesitz zusammen, denn wir finden diese Art von Finanzkanal nicht, aber weil die das Land Besitzenden nicht in den Gebieten des Aufschwungs wohnen, finden wir auch keine steigende Nachfrage nach nicht gehandelten Waren oder Dienstleistungen in diesen Gebieten.
00:23:15:22 - 00:23:16:04
Paula Bustos
Okay.
00:23:16:04 - 00:23:39:12
Abigail Acton
Die Beeinflussung durch multinationale Unternehmen fällt also geringer als angenommen aus. Und das Geld bleibt tatsächlich im Lande. Ja. Ich danke Ihnen vielmals. Okay. Super. Ich wende mich jetzt an Sie, Susi. Mit dem Projekt MISFIRES werden neue theoretische und empirische Horizonte zur Analyse innovativer Märkte eröffnet, in denen vielfältige Interessen, Werte und Anliegen aufeinandertreffen. Sie haben die Gesundheitsversorgung als Fallstudie gewählt.
00:23:39:16 - 00:23:42:13
Abigail Acton
Was hat Sie zu diesem Forschungsbereich hingezogen, Susi?
00:23:42:15 - 00:24:05:07
Susi Geiger
Nun. MISFIRES war von Anfang an tatsächlich ein Projekt aus Leidenschaft. Mir liegen die Förderung der Gleichberechtigung und des Zugangs zu Arzneimitteln und medizinischen Dienstleistungen sehr am Herzen. Mein Hauptziel ist es, dafür zu sorgen, dass alle Menschen auf der ganzen Welt die notwendige medizinische Versorgung erhalten, wenn sie sie brauchen. Ganz unabhängig davon, wo sie geboren wurden. Aber das ist eine Vision, die noch sehr weit von ihrer Verwirklichung entfernt ist.
00:24:05:09 - 00:24:38:07
Susi Geiger
Gegenwärtig müssen die Regierungen ihre Haushaltsmittel auf eine größere Zahl von Menschen verteilen, die länger leben und an mehr chronischen Krankheiten leiden, und die Patientinnen und Patienten haben oft keinen Zugang mehr zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung und müssen dafür sehr hohe Preise zahlen. Diese Aufgabe, herauszufinden, wie wir gemeinsam mit dieser Situation umgehen können, treibt unsere Forschung voran, ebenso wie mein Engagement als Sachverständige in einer WHO-Beratungsgruppe für die Preisgestaltung von Arzneimitteln und mein Engagement bei Access to Medicines Ireland, einer Nichtregierungsorganisation, die sich auf nationaler und internationaler Ebene für mehr Gerechtigkeit einsetzt.
00:24:38:13 - 00:24:43:03
Susi Geiger
Ich sehe mich ein wenig als akademische Aktivistin in diesem Bereich.
00:24:43:05 - 00:24:56:21
Abigail Acton
Richtig. Ausgezeichnet. Verstehe. Ich denke, dass Sie das richtig angehen, Susi. Fantastisch. Sozusagen eine Aktivistengruppe mit einem gewissen akademischen Ruf im Rücken. Aber was steht Ihrer Meinung nach aus Sicht des Marktes einem gerechten Zugang im Wege? Was hat Ihre Projektarbeit aufgedeckt?
00:24:56:23 - 00:25:36:17
Susi Geiger
Es geht um Patente und Preisgestaltung. Was niemanden überraschen würde, der sich in diesem Bereich etwas auskennt. Bei den Patentsystemen ist es von der Vergangenheit her eigentlich nicht vielen Leuten bewusst, dass viele Länder bis Mitte des 20. Jahrhunderts und sogar noch später keine Patente für Pharmazeutika zuließen. Das wurde einfach nicht akzeptiert. Aber 1995 einigten wir uns im Rahmen der Welthandelsorganisation weltweit auf ein sehr umstrittenes Handelsabkommen zu handelsbezogenen Aspekten der Rechte des geistigen Eigentums, kurz TRIPs, das im Prinzip globale Patente mit gleicher Länge usw. vorschreibt,
00:25:36:19 - 00:26:07:23
Susi Geiger
für jede Technologie weltweit, Pharmazeutika eingeschlossen. Das hat die indischen Generikahersteller, die damals als die Apotheke der Welt der Entwicklungsländer bekannt waren, auf einen Schlag dezimiert. Nun schaffen viele Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen unnötigerweise Märkte für multinationale Pharmaunternehmen. Gleichzeitig hinderten die Patente damals jedoch häufig lokale Hersteller daran, innovative Arzneimittel zu liefern.
00:26:07:23 - 00:26:33:21
Susi Geiger
Das ist eine richtig große Sache. Und wir haben die Folgen gesehen. Die katastrophalen Folgen dieser Tatsache im Zusammenhang mit COVID-19 haben dazu geführt, dass enorme Ungleichheiten bei den Impfstoffen zu beobachten waren, einfach weil wir nicht genug Impfstoffe produzieren konnten. Ein großes Problem sind jedoch die Preise. Wir haben Preisspiralen, die inzwischen leicht Millionen Euro pro Person für eine Behandlung erreichen.
00:26:33:21 - 00:26:51:01
Susi Geiger
Zudem sehen wir viele dieser neuen Medikamente, die zu diesen Preispunkten auf den Markt kommen. Die können sich die Gesundheitssysteme einfach nicht mehr leisten. Aber es gibt viele Beweise dafür, dass diese, sogar diese hochinnovativen Hightech-Medikamente, viel preiswerter hergestellt werden könnten.
00:26:51:03 - 00:27:04:04
Abigail Acton
Aber angesichts der Tatsache, dass sich die Gesundheitssysteme das nicht leisten können, und angesichts der wirtschaftlichen Situation: Verdrängen sich dann diese Unternehmen nicht selbst aus dem Markt? Müssten sie nicht die Preise für Dinge senken, die für niemanden erschwinglich sind, der sie kaufen will?
00:27:04:04 - 00:27:25:06
Susi Geiger
Nun, das könnte man meinen. Aber sie besitzen im Grunde ein Monopol. Wiederum durch das Patentsystem können sie einfach ein Gebiet beherrschen. Wir sehen die Folgen jetzt. Zum Beispiel kamen während der COVID-19-Zeit zum ersten Mal mRNA-Impfstoffe auf dem Markt. Das war eine Technologie, die über Jahrzehnte entwickelt wurde.
00:27:25:06 - 00:27:52:20
Susi Geiger
Und das die meiste Zeit in öffentlichen Einrichtungen, aber durch Patente ging der gesamte mRNA-Raum tatsächlich sukzessive in private Hände über. Jetzt ist die Zukunft fast schon festgelegt, weil es eine Handvoll Unternehmen gibt, die Patente und eine sogenannte Plattformtechnologie besitzen. Es liegen mRNA-Impfstoffe für HIV und für einige Krebsarten usw. im Bereich des Vorstellbaren.
00:27:52:20 - 00:27:57:01
Susi Geiger
Es handelt sich um eine äußerst wertvolle Technologie, die sich in den Händen einiger weniger Unternehmen befindet.
00:27:57:03 - 00:27:59:22
Abigail Acton
Was können wir tun?
00:27:59:24 - 00:28:29:14
Susi Geiger
Das ist eine gute Frage. Ich denke, eines der Dinge, die viele Aktive sagen würden und auf die auch unsere Forschung hinwies, ist, dass wir die Erschaffung von öffentlichem Wissen in diesem Bereich viel stärker aufwerten müssen. Es gilt sicherzustellen, dass die Universitäten, die all diese wirklich grundlegenden, wichtigen Forschungsarbeiten im Pharmazeutikabereich durchführen, dass diese öffentlichen Einrichtungen tatsächlich angemessen wertgeschätzt und für das erschaffene Wissen bezahlt werden.
00:28:29:14 - 00:28:49:24
Susi Geiger
Sodass das Wissen auf die eine oder andere Art über öffentliche Patente innerhalb des öffentlichen Systems erhalten bleibt und nicht an private Kostenträger ausgelagert wird. Oder wenn letzteres getan wird, muss gewährleistet werden, dass diese Patente an Bedingungen geknüpft werden. Es ist dann zum Beispiel bekannt, dass Preisobergrenzen eingehalten werden müssen. Es gibt durchaus verschiedene Möglichkeiten, das zu realisieren.
00:28:50:01 - 00:28:57:19
Abigail Acton
Gibt es Anzeichen dafür, dass etwas davon tatsächlich umgesetzt wird? Sehen Sie eine Verschiebung des heute gängigen Modells in diese Richtung?
00:28:57:21 - 00:29:29:01
Susi Geiger
Um ganz ehrlich zu antworten: Die Pharmaunternehmen werden das nicht tun, weil ihr Geschäftsmodell für sie überaus gut funktioniert. Sie verdienen dort eine Menge Geld. In vielen Bereichen verfügen sie über eine Monopolstellung. Wenn sie zu einem staatlichen Käufer sagen, wir wollen drei Millionen Euro pro Person für diese Gentherapie, dann muss der öffentliche Käufer diesen Betrag zahlen, wenn er seine Bevölkerung mit diesen Medikamenten versorgen will, und dabei handelt es sich um enorm wichtige Medikamente, insbesondere für seltene Krankheiten.
00:29:29:03 - 00:29:48:04
Susi Geiger
Die privaten Unternehmen werden es nicht von allein in Gang bringen. Wir müssen, denke ich, als öffentliche Regierungen, Aktive und wissenschaftlich Tätige aus der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, um sie in diese Richtung zu drängen und wirklich Bedingungen dafür einzufordern.
00:29:48:06 - 00:30:00:11
Abigail Acton
Nun, Susi, wenn wir an Ihr Projekt MISFIRES denken, was war Ihrer Meinung nach die eine Erkenntnis mit Schlüsselbedeutung, die Sie als Ergebnis Ihrer Forschung für besonders wichtig halten? Was sollten wir im Gedächtnis behalten?
00:30:00:13 - 00:30:25:14
Susi Geiger
Wir haben viel mit Patientengruppen und Organisationen für den Zugang zu Arzneimitteln zusammengearbeitet, was eine fantastische Vorgehensweise ist. Dann haben wir auch mit Verantwortlichen der Politik gesprochen. Und ich habe jetzt ein Buch herausgebracht, das den Titel Peak Pharma trägt. Und in Peak Pharma wird im Prinzip argumentiert, dass wir die Höchstkonzentration, die Preisspitze, den Höhepunkt der Finanzialisierung und die höchstmögliche Expansion in der Pharmaindustrie erreicht haben, und dass sich das System nun ändern muss.
00:30:25:14 - 00:30:50:24
Susi Geiger
Es wird einfach zu viel Wert von der Pharmaindustrie absorbiert, und es bleibt nicht genug für andere Beteiligte übrig. Wir müssen wirklich über alternative pharmazeutische Wirtschaftssysteme nachdenken. Ich arbeite zudem viel mit dem Konzept des pharmazeutischen Gemeinguts, um zu erkunden, wie diese Ressourcen zu einem Gemeingut werden können. Zu einem echten Allmendegut.
00:30:51:01 - 00:31:05:09
Abigail Acton
Susi, wenn wir über die wirtschaftliche Basis der Pharmaindustrie und deren Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung nachdenken, was müssen wir Ihrer Meinung nach im Hinblick auf die Stärken und Schwächen des Systems beachten?
00:31:05:11 - 00:31:34:03
Susi Geiger
Wenn ich über die Wirtschaft nachdenke, Abigail, dann denke ich nicht nur an Kapital- oder Arbeitsströme. Ich denke in erster Linie an Informations- und Wissensflüsse, denn ich bin überzeugt, dass dies die drei großen Werte sind, die unsere Wirtschaft und jeden einzelnen Markt durchdringen. Man kann nicht nur die eine Seite betrachten, ohne die andere Seite zu sehen. Ich befürchte, dass das Kapital nur in eine Richtung fließen könnte.
00:31:34:05 - 00:31:56:23
Susi Geiger
Aber das ist in Ordnung, wenn Informationen und Waren usw. in die andere Richtung fließen, wenn alle ihren Anteil an diesem Wertesystem bekommen. Ich bin jedoch besorgt, wenn das Kapital in die eine Richtung fließt und ein Großteil des Wissens in dieselbe Richtung. Wenn eben nicht genug aus dieser Richtung
00:31:56:23 - 00:32:01:11
Susi Geiger
zur Öffentlichkeit und zur den öffentlichen Zahlern zurückkommt.
00:32:01:13 - 00:32:06:15
Abigail Acton
Fantastisch. Vielen, vielen Dank. Paula, ich glaube, Sie haben eine Frage.
00:32:06:17 - 00:32:36:22
Paula Bustos
Ja. Genau. Ich finde das Ganze super interessant. Wir wissen, worauf Susi anspielt, denn dies steht in engem Zusammenhang mit einem umfassenderen Trend in der Wirtschaft, nämlich dem Trend zur Konzentration und zu größeren Bruttogewinnen, die nicht unbedingt durch steigende Skalenerträge gerechtfertigt sind. Ich denke, dies ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass es einige Aktivitäten geben könnte, die große Unternehmen effizient durchführen, weil sie steigende Erträge bringen.
00:32:36:22 - 00:32:54:01
Paula Bustos
Aber diese anderen Aktivitäten wie etwa personalisierte Behandlungen könnten in kleinerem Maßstab erfolgen. Die Tatsache, dass all diese Aktivitäten von diesen größeren Firmen durchgeführt werden, stellt somit eine Verzerrung der optimalen Verteilung auf dem Markt dar. Ich weiß nicht, ob das eine gute Interpretation dessen ist, was Sie hier besprochen haben.
00:32:54:06 - 00:33:16:02
Susi Geiger
Doch, ist es, Paula. Ganz gewiss. Und eines der Dinge, die uns im pharmazeutischen Bereich große Sorgen bereiten, ist die Höhe des Kapitals, das aus der Forschung und Entwicklung und der Innovation abgezogen und dann beispielsweise an die Aktionäre zurückgezahlt wird. Wir nennen das Finanzialisierung. Ich bin sicher, dass Sie das Gleiche in den von Ihnen betrachteten Agrarindustrien beobachten können.
00:33:16:05 - 00:33:40:17
Susi Geiger
Deshalb bleibt immer weniger Geld übrig, um Grundlagenforschung und Entwicklung zu betreiben. Überdies fehlt es uns an Arzneimitteln gegen die sogenannten vernachlässigten Krankheiten, meist tropischen Krankheiten, für die es einfach keinen lukrativen Markt gibt, um schonungslos ehrlich zu sein. Wiederum kann auch hier beispielsweise die öffentliche Innovation einen wichtigen Beitrag leisten, denn die Pharmaindustrie ist in Bezug darauf nicht sehr gut aufgestellt.
00:33:40:19 - 00:33:42:14
Susi Geiger
Sie zögern, das zu tun.
00:33:42:16 - 00:33:58:23
Abigail Acton
Nun, ich finde das absolut brillant. Ich danke Ihnen sehr. Ihnen allen. Es gab einige wirklich faszinierende Einblicke, sowohl historisch als auch die Gegenwart betreffend, in einem Land und für einen Sektor. Ich bin überzeugt, dass wir das Thema aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet haben, und es war mir ein echtes Vergnügen. Vielen Dank für Ihre Zeit.
00:33:59:00 - 00:34:01:15
Susi Geiger
Ich danke Ihnen sehr. Es war wunderbar, hier dabei zu sein.
00:34:01:17 - 00:34:02:22
Abigail Acton
Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Susi.
00:34:02:22 - 00:34:05:07
Sitta von Reden
Vielen Dank, dass ich Ihr Interesse an Alter Geschichte wecken konnte.
00:34:06:02 - 00:34:10:02
Abigail Acton
Ja. Genau. Ich interessiere mich schon immer für Alte Geschichte, wie die Hörerinnen und Hörer von CORDIScovery wahrscheinlich schon bemerkt haben.
00:34:10:03 - 00:34:10:13
Paula Bustos
Danke, Abigail.
00:34:11:01 - 00:34:13:02
Abigail Acton
Es war mir eine Freude, Paula. Vielen Dank für Ihre Einblicke.
00:34:13:06 - 00:34:16:01
Alles Gute.
Auf Wiedersehen. Bis bald. Sehr gut. Bis bald.
00:34:16:03 - 00:34:41:17
Abigail Acton
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00:34:41:21 - 00:34:53:19
Abigail Acton
In unseren 48 Folgen wird etwas dabei sein, das Ihre Neugierde weckt. Wir freuen uns stets darauf, von Ihnen zu hören. Schreiben Sie uns eine Nachricht an editorial@cordis.europa.eu. Bis zum nächsten Mal.
Wirtschaftliche Dynamik über Räume und Zeit hinweg
In einer Zeit, in der die Worte „Zölle“, „Wirtschaftswachstum“, „Welthandel“ und „Sanktionen“ ständig im Gespräch sind, wird uns allen die Wirtschaft und die Verflechtung der Märkte immer bewusster. Was kann uns die Antike über die Entwicklung von Tauschnetzen und die Auswirkungen auf interimperiale Volkswirtschaften sagen, und kann damit Licht in unsere heutige Situation gebracht werden? Was können wir aus der Verlagerung von Kapital und Arbeit im ländlichen Brasilien vom Agrarsektor zum verarbeitenden Gewerbe lernen? Neben der Untersuchung der Bewegungen von Kapital und Arbeit werden auch die wirtschaftlichen Merkmale eines Marktes, und zwar der Gesundheitsversorgung, betrachtet. Geht es fair und gerecht zu – und wenn nicht, warum? Und wie können Verbesserungen herbeigeführt werden? Wenn Sie diese Fragen interessieren, dann haben unsere drei Gäste vielleicht einige Antworten. Sitta von Reden(öffnet in neuem Fenster) ist Professorin für Alte Geschichte an der Universität Freiburg(öffnet in neuem Fenster), Deutschland. Sie leitet ein interdisziplinäres Graduiertenkolleg über „Imperien“ an der Universität und interessiert sich vor allem für die Themen antike Wirtschaft, Geld und antike Weltgeschichte, die sie im Rahmen des Projekts BaSaR erkundete. Paula Bustos(öffnet in neuem Fenster) ist Forschungsprofessorin an der Universität Pompeu Fabra(öffnet in neuem Fenster) und Lehrbeauftragte an der Barcelona School of Economics(öffnet in neuem Fenster). Sie führt empirische Untersuchungen zur wirtschaftlichen Entwicklung durch, die sich an der Außenhandelstheorie orientieren, und koordinierte das Projekt EDST. Susi Geiger(öffnet in neuem Fenster) ist Professorin für Märkte, Organisationen und Gesellschaft am College of Business des University College Dublin(öffnet in neuem Fenster). Bei ihrer Forschung untersucht sie die Organisation von Märkten, insbesondere in den Bereichen Gesundheitsversorgung und Technologie. Sie konzentriert sich auf alternative Wege zu Verbesserungen im Sinne des öffentlichen Wertes und des Gemeinwohls. Geiger koordinierte das Projekt MISFIRES.
Wir freuen uns darauf, von Ihnen zu hören!
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