Was geschieht, wenn das gesamte Arktiseis schmilzt?
In dem Blockbuster „The Day After Tomorrow“ von 2004 wird durch das Abschmelzen der polaren Eisschilde das globale System der Meeresströmungen, die sogenannte atlantische meridionale Umwälzzirkulation (Atlantic meridional overturning circulation, AMOC), abrupt gestoppt, wodurch auf einem Großteil des Planeten eine neue Eiszeit ausgelöst wird. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass dies innerhalb der vom Film vorgegebenen Zeit geschieht, zeigt sich die Wissenschaft bereits seit Jahrzehnten über eine mögliche Verlangsamung der atlantischen meridionalen Umwälzbewegung besorgt. Auf seinem Weg nach Norden gibt das warme Wasser Wärme an die Atmosphäre ab und trägt so dazu bei, das Klima in Europa relativ mild zu gestalten, bevor es abkühlt, dichter wird und in den Tiefen des Ozeans versinkt. Süßwasser aus schmelzenden Eisschilden weist eine geringere Dichte als Salzwasser auf, sodass sich das System verlangsamen kann, wenn genügend davon in den Ozean gelangt. Geschieht dies, könnte ein weitaus kälteres Klima für Europa zur Realität werden. „Es gibt viele Klimamodelle, die zeigen, dass die atlantische meridionale Umwälzzirkulation schwächer werden wird“, berichtet Semper. Sie erklärt jedoch, dass diese globalen Klimamodelle kaum dazu geeignet sind, Prozesse in kleinerem Maßstab, wie etwa die Bildung von dichtem Wasser, zu erfassen. Eine Lösung dieser Probleme könnte tatsächlich die in den Modellen prognostizierte Abschwächung der atlantischen meridionalen Umwälzbewegung verringern. „Aber vielleicht repräsentiert sie nicht das, was wir jetzt den Hoffnungsschimmer nennen“, sagt Semper. Im Rahmen des EU-finanzierten Projekts SUPERFLOW untersuchte Semper, wie sich die Umwandlung von warmem in kaltes Wasser im Nordmeer verändert. Ihre Forschungsarbeiten(öffnet in neuem Fenster) ließen erkennen, dass sich mit dem Rückzug der Meereisgrenze östlich von Grönland die Bildung von dichtem Wasser im Vergleich zu vor vier Jahrzehnten weiter nach Westen verlagert hat. „Nur weil sich das Meereis zurückzieht, heißt das nicht, dass sich dadurch die gesamte Bildung von dichtem Wasser verlangsamt“, stellt sie fest. „Es verlagert sich nur der Ort.“ Und im Zuge neuerer Forschung(öffnet in neuem Fenster) fanden Semper und ihr Team heraus, dass mit dem Rückgang des Eises in einigen Gebieten des Nordpolarmeers die Barriere zwischen Ozean und Atmosphäre weggefallen ist, wodurch ein größerer Teil des Ozeans der kalten Atmosphäre ausgesetzt ist. In diesen arktischen Regionen ist das Oberflächenwasser der Polarluft ausgesetzt, die das Wasser soweit abkühlt, dass es sinkt. Das Team geht davon aus, dass dies ein Grund dafür sein könnte, dass die atlantische meridionale Umwälzbewegung in den letzten Jahrzehnten relativ stabil geblieben ist, auch wenn die polaren Eisschilde schmelzen. Der Haken an der Sache ist, dass die Kante des Meereises benötigt wird, um Winde zur Abkühlung des Wassers zu erzeugen, sodass gewissermaßen die Uhr tickt. „Ich schätze, dass die globale Erwärmung irgendwann einfach gewinnen wird“, fügt Semper hinzu. „Wenn es kein Meereis mehr gibt, könnte es schwierig werden.“ Das Wissenschaftsteam setzt seine Erforschung der atlantischen meridionalen Umwälzzirkulation im Rahmen des EU-finanzierten Projekts ROVER fort. „Wir versuchen, mehr über die Resilienz des Systems herauszufinden“, bekräftigt Semper. Lesen Sie mehr über die Forschung von Stefanie Semper: Bildung von dichtem Wasser bewegt sich westwärts und folgt der zurückweichenden Eisgrenze Grönlands