Verknüpfung des wissenschaftlichen Diskurses zur Sexualität mit der Stereotypisierung der Geschlechterrollen
In Polen wird der Katholizismus häufig als alleinige Ursache für die Diskriminierung von Frauen und sexuellen Minderheiten (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans und Queers (bzw. Unsichere) (LGBTQ)) angesehen. Bei dem Projekt Biomedgen werden nun die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Sexualität mit der Prägung von Geschlechterrollen und Stereotypen im heutigen Polen in Beziehung gesetzt. Die Projektpartner gehen davon aus, dass der Katholizismus entgegen der allgemeinen Auffassung nicht allein für die Diskriminierung von Frauen und LGBTQ-Gruppen verantwortlich ist. Bei dem gewählten Ansatz wird vorausgesetzt, dass sich mit einem derartigen Glaubenssystem nicht sämtliche Mechanismen der Ungleichberechtigung erklären lassen und dass der wissenschaftliche Diskurs, der von der katholischen Kirche selbst verfolgt wird, eine bedeutende Rolle spielt. Vor dem Hintergrund, dass die Wissenschaft ein unerlässlicher Quell des Wissens ist und in der heutigen Gesellschaft eine unbestrittene Anerkennung erlangt hat, soll mit dem EU-finanzierten Biomedgen-Projekt geklärt werden, wie die vielen unterschiedlichen Diskurse zur Sexualität die Geschlechterrollen sowie die Sexualitätsmodelle und –stereotypen prägen. Die Untersuchung ist auf Polen beschränkt und wird in den Kontext der postsozialistischen Umgestaltung und der Erweiterung der Europäischen Union gesetzt. Im Rahmen des Projekts sollen Daten zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Sexualität in Polen und deren globaler Kontext erfasst werden und auf dieser Grundlage ein theoretischer Rahmen erarbeitet werden, mit dem sich die Analyse der wissenschaftlichen Erkenntnisse der Sexualität in Polen anwenden lässt. Aufbauend auf ethnografischer Feldforschung und der Analyse schriftlicher Quellen liegt der Schwerpunkt der Arbeiten auf der Beantwortung einer Reihe von Fragen. Dazu gehören: Welche Geschlechterrollenmodelle lassen sich aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Sexualität ableiten? Wie können deren Formen, die durch Biomedikalisierung einem ständigen Wandel unterliegen, vorhandene kulturelle Stereotypen zu den Geschlechtern, den heteronormativen Diskurs und die Vorstellungen von den Aufgaben der Frauen und Männer stärken und ihnen gleichzeitig die Argumente nehmen? Das bis dato im Rahmen des Projekts wichtigste erzielte Ergebnis ist eine Vorab-Analyse der nordamerikanischen und polnischen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Sexualität, die unter Einbeziehung mehrerer Disziplinen erstellt wurde. Diese Analyse wurde in Form von Konferenzbeiträgen vorgestellt. Weiterhin ist es den Projektpartnern gelungen, neue Lehrpläne sowie ein Lehrbuch für den Einsatz in neu konzipierten Kursen zu erstellen. Durch längerfristige Arbeiten werden die im Rahmen der Untersuchungen erzielten Ergebnisse und die gewonnenen Einblicke in das Kernthema dazu beitragen, eine kritische anthropologische Untersuchung der Sexualität und der medizinischen Anthropologie in Polen zu entwickeln. Die Bedeutung des Projekts liegt in seinem Potenzial, einen größeren Einfluss auf die Gleichstellungspolitik in den Bereichen sexuelle Aufklärung, Verhütung sexueller Gewalt und öffentliche Gesundheit zu nehmen.