Verhalten allgegenwärtiger Faserstrukturen durchschaut
Obwohl Faserstrukturen eine Vielfalt unterschiedlicher Formen aufweisen, scheinen in Bezug auf Wachstum, Bewegungsverhalten und Verformbarkeit für alle die gleichen universellen Gesetze zu gelten. Noch bestehen allerdings beträchtliche Wissenslücken. Durch die EU-Unterstützung des Projekts GROWINGRODS (Mathematics and mechanics of growth and remodelling of bio-filaments) konnten Wissenschaftler ein einheitliches mathematisches Modell entwickeln, mit dem der Zusammenhang zwischen Mechanik und Wachstum beschrieben wird. Versucht eine wachsende Struktur, sich trotz der räumlichen Einschränkungen ihrer Umgebung auszudehnen, sind die mechanischen Eigenschaften des Gesamtgebildes, welche sich durch dieses nicht-lineare Wachstum herausbilden, nicht mehr proportional zu den Eigenschaften der Einzelelemente. Mit Hilfe der allgemeinen durch die Projektteilnehmer vertretenen Theorie, die das Wachstum von Fasern unabhängig von deren anderen Materialeigenschaften beschreibt, konnten Vielfalt und Entstehung von Seemuscheln erklärt werden. Strukturen, die ganze Faserbündel darstellen, sind jedoch grundsätzlich anderer Natur, und ihr Verhalten konnte durch keine allgemeine Theorie abgebildet werden. Die Wissenschaftler untersuchten ein simples, aus nur zwei elastisch miteinander interagierenden Fasern bestehendes System und entwickelten darauf aufbauend eine Theorie zu deren Mechanik und Wachstum, wodurch eine Aufklärung der entscheidenden Eigenschaften der Struktur in Abgrenzung von denen der Einzelfasern ermöglicht wurde. Durch das Modell konnte nachgewiesen werden, dass die Gesetzmäßigkeiten, die die Wirkung und Angriffsfläche der mittleren Spannkraft für Einzelstränge beschreiben (Kirchoffsches Gesetz), für Bündel nicht in gleicher Weise gelten. Statt also dieses Modell anzuwenden, arbeiteten die Wissenschaftler an Definitionen zur allgemeingültigen Beschreibung von Spannkräften und daran, die zugehörigen Balancegleichungen aufzulösen. Der größte Durchbruch gelang den Wissenschaftlern jedoch durch Auflösung eines Widerspruches bei der Beschreibung der Stabilität mechanischer Gleichgewichtszustände in 1D-Systemen. Es gibt viele verschiedene Arten von Gleichgewichtszuständen, aber nicht stabile werden nur sehr selten beobachtet. Bislang konnte durch theoretische Beschreibungen nur eine geringe Anzahl an Gleichgewichtszuständen ausgemacht werden. Das Team entwickelte eine Formulierung, mit der nun die meisten, wenn nicht alle Gleichgewichtszustände mit Leichtigkeit ermittelt werden können. Dies ist ein Wegbereiter für neue technische Anwendungen, die es zum Beispiel erlauben, ein System so zu modifizieren, dass ganz bestimmte, erwünschte Gleichgewichtszustände erhalten bzw. stabilisiert werden. Den Forschern gelang es außerdem, die Gültigkeit des neuen mathematischen Modells für ein natürliches, ein künstliches und ein hybrides System nachzuweisen. Durch GROWINGRODS wurden wichtige mathematische Formulierungen erarbeitet, mit denen die Mechanik und das Wachstum weit verbreiteter Faserstrukturen beschrieben werden kann. Drei ausführliche Veröffentlichungsbeiträge gingen aus dem Projekt hervor, die in vielen Bereichen weitreichende Konsequenzen für das Verständnis von technischen Zusammenhängen und die Entwicklung innovativer Technologien haben werden.
Schlüsselbegriffe
Fasern, mathematische Beschreibungen, Wachstumsmechanismen, Bündel, Gleichgewichtszustände