Wie Nordeuropa die Seehandelsmächte des Mittelmeers verdrängte
Aufgrund einer geringen Anzahl erhalten gebliebener Wirtschaftsdokumente aus der Zeit des frühen modernen Europas, die eine Reihenuntersuchung ermöglichen und somit geringfügiger Forschung zum maritimen Sektor, ist nur wenig darüber bekannt, wie der englische und holländische Seehandel die regionalen Mittelmeermächte während des 17. Jahrhunderts verdrängte. Um sich dieser Thematik anzunehmen, wurde im Rahmen des EU-finanzierten Projekts LUPE (Sailing into modernity: Comparative perspectives on the sixteenth and seventeenth century European economic transition) über eine vergleichende Studie der vertraglichen Umstände und des wirtschaftlichen Umgangs mit Seeleuten, die im Mittelmeerraum aktiv waren, der wirtschaftliche Wandel im frühen modernen Europa analysiert. Zur Erreichung der Ziele wurden über LUPE alternative dokumentarische Belege aus gerichtlichen und notariellen Archiven untersucht. Die Erkenntnisse zeigen, dass die vertraglichen Bedingungen nördlicher Schiffsmannschaften englischen und holländischen Händlern, die in den Mittelmeerraum vordringen wollten, einen relativen Vorteil boten. Die Projektpartner stellten fest, dass die legislative Reaktion Englands auf Meinungsverschiedenheiten, welche die maritime Beschäftigung betraf, die herkömmlichen Entgeltsysteme der Seeleute – eine Mischung aus Löhnen und Kleinunternehmertum – erheblich beschnitt. Durch eine wesentliche Einschränkung der traditionellen Freiheiten von Seeleuten schufen die Gesetzgeber eine Vertragsstruktur, welche später, zu Beginn der Industriellen Revolution, auf alle Lohnarbeiter angewandt wurde. Die verschiedenen Arme der Projektforschung in Europa enthüllten, dass der gesetzliche Rahmen im Hinblick auf Löhne und Lohnstreitigkeiten weitaus komplexer war als bisher angenommen worden ist. Hierfür wurde eine Datenbank eingerichtet, welche Lohnzahlen beinhaltet und die öffentlich verfügbar sein wird. Das LUPE-Team fand heraus, dass von den Mannschaften ausgeführte kleinhändlerische Aktivitäten eine unerwartete Resilienz aufwiesen. Das Team zeigte ebenfalls eine direkte Verbindung zwischen Rechtsstreitigkeiten unter Seeleuten im Mittelmeer und gesetzgeberischen Fortschritten in Nordeuropa auf. Dies wirkte sich über die Staatsgrenzen hinaus auf Regierungsmaßnahmen zur Ausweitung des jurisdiktionalen Einflusses und zur Kontrolle des wirtschaftlichen Handelns eigener Untertanen aus. LUPE bewies erfolgreich, dass die rechtlichen und finanziellen Unterschiede im Umgang mit Mannschaften von entscheidender Bedeutung für den Aufschwung der nordeuropäischen Wirtschaftssysteme war. Diese Erkenntnisse haben Implikationen für heutige Sachverhalte, insbesondere dafür, wie ausgereifte Wirtschaftssysteme auf strukturelle Krisen und auf erbitterten Wettbewerb von aufstrebenden wirtschaftlichen und politischen Mächten reagieren.
Schlüsselbegriffe
Seehandel, Mittelmeer, maritim, LUPE, wirtschaftlicher Übergang