Krebsforscher identifizieren "bösartige" Stammzellen
Forschern des italienischen Krebsforschungszentrums in Mailand ist ein Durchbruch in der Brustkrebsforschung gelungen: Sie haben Stammzellen aus adultem Brustkrebsgewebe isoliert und in vitro vermehrt. Durch das Experiment konnten "bösartige" Stammzellen identifiziert werden, die für das Tumorwachstum verantwortlich sind. Diese Zellen unterscheiden sich von den Stammzellen, die in der Stammzellen-Transplantation zur Lymphom- und Leukämiebehandlung eingesetzt werden. Wenngleich manche Krebstumoren behandelt werden können, so stellen die meisten trotz aller medizinischer Anstrengungen nach wie vor ein Todesurteil für den Patienten dar. Auch wenn operativ alle Spuren des Tumors entfernt werden, können schnell neue Krebszellen entstehen, die an die Stelle des entfernten Tumors treten. Einige Krebsformen widerstehen sogar toxischer Chemo- und intensiver Strahlentherapie, beides mächtige Waffen, die schnell die sich teilenden Zellen abtöten und das Wachstum weiterer Tumoren unterdrücken. Die Antwort auf die Frage, warum so viele Tumoren so schwierig zu behandeln sind, könnte in den Krebs-Stammzellen zu finden sein. Seit Jahrzehnten kämpfen die Krebsforscher mit zwei unterschiedlichen Verhaltensweisen von Tumoren: In einem Szenario sind alle Zellen eines Tumors identisch, und sie haben alle dieselbe Fähigkeit zur Teilung und zur Bildung neuer Tumoren. In dem zweiten Szenario haben nur einige ausgewählte Zellen die Fähigkeit, neue Tumoren hervorzubringen: die Krebs-Stammzellen. Die Theorie, dass es Krebs-Stammzellen gibt, besteht seit den späten 1950er Jahren. Aber lange konnten die Wissenschaftler die notwendigen Experimente zum Nachweis ihrer Existenz nicht entwickeln: die Isolierung der Krebs-Stammzellen von anderen Tumorzellen. Die ersten erfolgreichen Versuche wurden mit Blutzellen durchgeführt. 1997 implantierte ein Team der Universität Toronto Krebszellen von Leukämie-Patienten in Mäuse. So gelang der Nachweis, dass sich etwa eine von einer Million menschlichen Krebszellen vermehren kann. Diese seltenen Zellen, so schlussfolgerten die Forscher, könnte man als die Krebs-Stammzellen bezeichnen. Alle Krebszellen verfügen auf ihren Oberflächenmembranen über eine individuelle Proteinstruktur, die sog. Marker. Diese Marker sind mit Fingerabdrücken vergleichbar. Die Wissenschaftler beobachteten, dass die gefährlichen Zellen, also die, die sich vermehren können, auf ihrer Oberfläche charakteristische Proteine tragen: Leukämie-Stammzellen verfügen über ein Protein, das CD34, das auch in gesunden blutbildenden Stammzellen vorkommt, aber nicht in anderen Zellen. Darüber hinaus fehlt den menschlichen Leukämie-Stammzellen immer ein anderes Protein, das CD38, das wiederum bei den meisten anderen Leukämiezellen vorkommt. 2003 berichtete ein Forscherteam der medizinischen Fakultät der Universität Michigan in Ann Arbor unter der Leitung von Dr. Muhammad Al-Hajj, dass einige wenige menschliche Brustkrebszellen, etwa ein bis zwei Prozent des Tumors, auch in Mäusen Tumoren bilden können. Später im Jahr 2003 legten zwei Forscherteams unabhängig voneinander Beweise vor, dass Krebs-Stammzellen auch das Ausgangsmaterial von Gehirntumoren sind. Das italienische Team am nationalen Krebsforschungszentrum hat einen neuen Meilenstein erreicht: Es isolierte Brustkrebszellen mit Stammzelleneigenschaften und konnte sie zum ersten Mal überhaupt in vitro vermehren. Die Ergebnisse der Forschung von Dario Ponti, Maria Grazia Daidone und Marco Pierotti wurden jetzt in der Fachzeitschrift Cancer Research Journal veröffentlicht. Das Team berichtete, dass die Isolierung und in vitro-Vermehrung der brustkrebsauslösenden Zellen von drei Brustkrebsläsionen und von einer etablierten Brustkrebs-Zelllinie gelungen sei. Die aus dem Brustkarzinom entwickelten Zellkulturen umfassten undifferenzierte Zellen, die zur Selbsterneuerung, zum umfangreichen Wachstum als klonale, nicht adhärente Cluster und zur Ausdifferenzierung verschiedener epithelialer Brust-Linien fähig waren. Diese Zellkulturen, die an zwei ihrer Membranmarker (CD44 und CD24) erkennbar waren, wiesen einen bestimmten Stammzellenmarker auf: Oct-4. Sie konnten aus nur 103 Zellen, die in Mäuse injiziert wurden, neue Tumoren bilden. Findet vorher keine Selektion statt, sind Millionen von Zellen notwendig, um eine Tumorneubildung auszulösen. Langzeitkulturen tumorigener Zellen mit Stammzelleneigenschaften könnten ein geeignetes in vitro-Modell zur Untersuchung von krebsauslösenden Zellen darstellen. Darüber hinaus könnten sie ein wertvolles Instrument zur Entwicklung spezieller Medikamente und therapeutischer Strategien sein, die auf die Auslöschung der Krebs-Stammzellen in Tumoren abzielen. Die Forschung an Krebs-Stammzellen verspricht auch neue Erkenntnisse über die Verbreitung oder Metastasierung von Krebs. Die herkömmlichen Theorien gehen davon aus, dass die Metastasierung ein evolutionärer Prozess ist, bei dem einige wenige Zellen in einem Primärtumor langsam genetische Mutationen ansammeln, die es ihnen ermöglichen, sich auf anderes Gewebe auszubreiten und dort neue Tumoren zu bilden. Ein alternatives Modell schlägt jetzt vor, dass sich zwar viele Zellen eines Primärtumors im Körper ausbreiten, dass ein zweiter Tumor aber nur dann entstehen kann, wenn eine der seltenen Stammzellen einen neuen Standort erreicht. Im italienischen Krebsforschungszentrum beschäftigt sich ein neues Forschungsprojekt unter der Leitung von Dr. Ponti bereits mit einer anderen Art von neoplastischen Stamm- und Vermehrungszellen, die in Lungentumoren auftauchen.
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Italien