Meinungsfreiheit zur Überwindung der digitalen Kluft
Auf dem Weltgipfel über die Informationsgesellschaft (WSIS) in Tunis werden sich EU-Vertreter für die Meinungsfreiheit als wahrscheinlich bestes Mittel zur Überwindung der digitalen Kluft einsetzen. Die Fragen, wie das Internet verwaltet wird und wie es die Grundfreiheiten am besten gewährleisten und das weltweite Wirtschaftswachstum fördern kann, stehen im Mittelpunkt der zweiten WSIS, die vom 16. bis 18. November stattfindet. In den Gesprächen der über 50 Staats- und Regierungschefs und ihrer Repräsentanten sowie zahlreicher Nichtregierungsorganisationen und Vertreter der Zivilgesellschaft wird es auch um finanzielle Mittel zur Überwindung der digitalen Kluft gehen. "Ich hoffe, dass wir in Tunis einen wichtigen Schritt auf dem langen Weg zu weniger Regierungskontrolle und hin zu einer stärkeren Internationalisierung des Internets machen werden", erklärte Viviane Reding, EU-Kommissarin für die Informationsgesellschaft und Medien, die die Kommissionsdelegation in Tunis leitet. "Wir sind diesem Ziel schon sehr nah. Über mehr als zwei Drittel des Verhandlungspakets besteht bereits Konsens, und ich appelliere an alle Teilnehmer, dieses Einvernehmen nicht in Frage zu stellen. Eine politische Einigung in Tunis ist zum Greifen nahe und wäre ein wichtiges Signal dafür, dass die demokratischen Nationen wirklich entschlossen sind, die Besorgnis erregende digitale Spaltung der Welt zu beseitigen und eine globale Informationsgesellschaft aufzubauen, die wirklich offen ist und alle Menschen einbezieht." Im Mittelpunkt der Debatte über die Verwaltung des Internets steht die Frage, wer einen zentralen Teil seiner Infrastruktur kontrolliert: das Domainname-System (DNS), also das System, das die Kommunikation zwischen Computern und Netzwerken ermöglicht. Dieses System wird derzeit von der in Kalifornien ansässigen Organisation ohne Gewinnzweck ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) kontrolliert, die im Rahmen eines Vertrags mit dem US-Handelsministerium die Oberaufsicht über das Adressensystem im Internet hat. Durch diese Vereinbarung erhält die US-Regierung das alleinige Recht, über die Einführung neuer Top Level Domains (TLD - Domänennamen oberster Stufe) im Internet zu entscheiden. Dabei kann es sich sowohl um neue Ländercodes wie .uk oder .fr oder um neue "generische" TLD wie .com oder .eu handeln. Da das Internet für die Kommunikationsinfrastruktur der meisten Länder inzwischen von elementarer Bedeutung ist und das Wirtschaftswachstum und die soziale Entwicklung direkt beeinflusst, stellt sich die Frage, ob eine einzige Regierung einen solchen wesentlichen Teil der Infrastruktur kontrollieren sollte. Viele Länder betrachten das Internet als weltweite Ressource und einige sind sogar der Ansicht, dass alle Nationen über ein multilaterales Gremium an der Festlegung der Regeln mitwirken sollten. Daher ist die Verwaltung des Internets der zentrale Punkt auf der Tagesordnung der WSIS. Stellvertretend für alle 25 EU-Mitgliedstaaten werden sich die britische Ratspräsidentschaft und die Europäische Kommission in Tunis zu Wort melden. Die EU befürwortet ein freies, stabiles und demokratisches Internet, das allen offen steht. Die Kommission ist der Ansicht, dass die ICANN ihre Aufgabe sehr gut erfüllt, und will an dieser erfolgreichen Form der Verwaltung durch eine private Organisation nichts ändern. Darüber hinaus ist die EU nicht der Ansicht, dass Regierungen an der täglichen Verwaltung des Internets mitwirken sollten. Die Einbeziehung von Regierungen könnte zu unnötig komplexen Strukturen führen und sogar die Stabilität des Internets gefährden. Die EU unterstützt daher eine Form der Internetverwaltung durch die ICANN, die völlig frei von staatlicher Einflussnahme ist. Auf diese Weise würde die tägliche Verwaltung des Internets durch eine private Organisation komplett von der Aufsichtsfunktion des US-Handelsministeriums über die ICANN gelöst. Des Weiteren ist die EU der Ansicht, dass zu wichtigen Fragen der Funktionsweise des Internets wie beispielsweise Spam, Internetkriminalität und vor allem der Internetzugang für alle Bürger ein neues "Kooperationsmodell" entwickelt werden muss: ein einfaches und transparentes System der Mitbestimmung aller Länder. Die Kommission hat das Interesse der USA an einer engeren Zusammenarbeit mit anderen Regierungen zu Fragen der öffentlichen Politik und Souveränität hinsichtlich der Ländercode-TLD begrüßt. Die EU sieht keinen Bedarf an der Errichtung neuer Strukturen für diese Mitbestimmung, sondern schlägt vor, auf bestehende Strukturen, vor allem die ICANN, aufzubauen. Mit Blick auf die Umsetzung des von der EU vorgeschlagenen neuen Kooperationsmodells erklärte EU-Kommissarin Reding abschließend: "Sofern die Regierungen aller Länder wirklich an einem freien, stabilen und offenen Internet interessiert sind, so könnte das Beratungskomitee GAC (Governmental Advisory Committee) der ICANN ein geeignetes Gremium für die Umsetzung der Elemente des neuen von uns Europäern vorgeschlagenen Kooperationsmodells in die Praxis sein."