Natur, Kultur und Herrschaft: das Verhältnis zwischen China und Europa
Die Diskussion über das Verhältnis zwischen chinesischer und europäischer Landschaftskunst ist nicht neu. Seit dem 18. Jahrhundert war die Frage, ob englische oder europäische Landschaftsgärten von chinesischen Gärten „beeinflusst“ wurden, oft ein Streitthema. Bei früheren Debatten ging es meist nur um Fragen der Ästhetik, ohne auf den größeren sozialen und politischen Kontext einzugehen. Das Projekt Nature Entangled betrachtet mit Unterstützung durch ein Marie-Curie-Stipendium genau dieses größere Bild. Die wissenschaftliche Projektleiterin Dr. Yue Zhuang erklärt: „Jüngere Studien gehen auf diesen breiteren Kontext ein, aber sie konzentrieren sich häufig auf den Sprung von der Idealisierung Chinas in der frühen Phase der Aufklärung hin zu seiner Abwertung im späten 18. und 19. Jahrhundert. Sie sprechen von einer ‚fortschreitenden Schwächung‘ des chinesischen Staates im Vergleich zum ‚gleichzeitigen Aufstieg‘ der europäischen Mächte – mit anderen Worten wird China als minderwertiges ‚anderes‘ gesehen.“ Das Projekt Nature Entangled betont, dass China in Europa für lange Zeit (vom 16. bis zum späten 18. Jahrhundert) für seine Landwirtschaft und handelsorientierte Wirtschaft, seine aufgeklärte und moderate Monarchie und seine gemäßigten Bürger von vielen Europäern als Vorbild gesehen wurde. Diese Aspekte waren in der Wahrnehmung nicht von der Landschaftsgärtnerei und -planung getrennt. Chinesische Landschaften waren mit Werten wie dem gemäßigten Leben im Sinne von Konfuzius verknüpft. Diese nahmen sich die britischen konservativen Liberalen zum Vorbild für ihre Vision von einer Landschaft als Abbild der Natur. Sie erforschten dieses Ideal als Ausdrucksmittel einer moralischen , psychophysischen und ökologischen Ordnung, die die im 17. und 18. Jahrhundert aufkommenden Werte der Moderne gleichzeitig ausmachten und konterkarierten. Im Projekt Nature Entangled wird nun das Konzept eines „Landschaftsgartens, der die Natur imitiert“ mit den Diskursen über moralische Herrschaft, Philosophie und Physiologie sowie städtischer Landschaftsplanung verknüpft. Auf dieser Basis werden die Wechselwirkungen zwischen China und Europa als ebenbürtige Partner betrachtet, frei von den Scheuklappen des Orientalismus und Progressivismus. „Wir verstehen das Thema als ‚Verflechtung‘ – als Wirkung von kulturellem Austausch auf die folgenden verbundenen Narrative, Verhandlungen und Neuinterpretationen reziproker Konzepte zwischen der europäischen und chinesischen Kultur“, sagt Dr. Zhuang, leitende Dozentin für Chinesisch an der Fakultät für Moderne Sprachen an der Universität Exeter. Erkenntnis dieser Studie ist laut Dr. Zhuang, dass die moralische und kulturelle Kultivierung jedes Einzelnen ebenso wichtig ist wie die technische Entwicklung. Besonders die „Natur“ sollte im modernen westlichen Sinne nicht als entfremdete „natürliche Welt“ verstanden werden, die erobert und mit Technologie „verbessert“ werden kann. „Besser wäre es, von einem konfuzianischen Naturkonzept auszugehen – einem Prozess von Leben und Regeneration, in dem die Menschheit ihre eigene Verantwortung bedenkt, um die Natur zu hegen und ihr zu helfen.“ Obwohl Nature Entangled eigentlich eine geschichtswissenschaftliche Studie ist, kamen zur Betrachtung aktueller Diskurse, wie dem Konzept der „Ökostadt“, Methoden mit Feldstudien zum Einsatz, aber auch visuelle Analysen, kulturelle Untersuchungen und Interviews vor Ort. „Der Gedanke, dass Landschaftsgärtnerei als Abbild der Natur das menschliche Empfinden von Gleichgewicht oder Mäßigung prägen oder formen kann, ist ein Konzept, das heutzutage relevant ist. Eine frühmoderne Vorstellung von Glück drehte sich gleichermaßen um das Wohlbefinden der Einzelnen (Ethik, Gesundheit) und der Gesellschaft (Herrschaft). Die Untersuchung des chinesisch-europäischen Verhältnisses in der frühen Globalisierung ist für das Verständnis aktueller Probleme von immenser Bedeutung."
Schlüsselbegriffe
Nature Entangled, China, Europa, Landschaftsgärtnerei, Gärten, moralische Herrschaft, interkultureller Kontakt