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THE VISUAL CULTURE OF SUFISM IN FRANCE AND GERMANY

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Spurensuche des mystischen Islam auf europäischem Gebiet

Während die Präsenz des Islam in Europa und der westlichen Welt vor allem im Hinblick auf religiösen Fundamentalismus untersucht wird, beleuchtet ein EU-finanziertes Forschungsprojekt den Sufismus, um Einblicke in seine Dynamik in einer sich ständig verändernden sozialen Landschaft zu gewähren.

Gesellschaft icon Gesellschaft

Der Sufismus wird als der innere Kern des Islam betrachtet, eine Reihe von Werten, Doktrinen, Ritualen und Institutionen, die seine reine Essenz zum Vorschein bringen. Aufgrund dessen bilden sufistische Visualisierungen von Glaube und Pietät innerhalb europäischer muslimischer Gemeinschaften eine Art visuelle Lingua Franca im weitesten Sinn. Das EU-finanzierte Projekt SufiVisual beinhaltete interdisziplinäre Forschung, die sich darauf konzentrierte, inwiefern visuelle Kultur wirksam religiöse Konzepte abbildet und formt. Das Projekt zielte darauf ab, eine Brücke zwischen Ost und West zu schlagen, indem es die Rolle visueller Kultur und religiöser Praktiken als Gegenbewegungen zu religiösem Fundamentalismus und zu den Triebkräften für religiösen Pluralismus untersuchte.

Das Sufi-Universum von innen betrachten

Sara Kuehn, Marie-Sklodowska-Curie-Stipendiatin des Projekts, widmete sich der Feldarbeit in den Sufi-Gemeinschaften der Inayatiyya, Naqschbandi-Haqqani, Alawiyya, Bektaschi und Mevlevi in Frankreich und Deutschland in ihren transnationalen Kontexten. Für die Datenerhebung führte sie Beobachtungen der Teilnehmenden bei verschiedenen Veranstaltungen durch, welche von diesen Gemeinschaften organisiert wurden. Dazu gehörten auch deren wöchentliche Dikhrs (Rituale des göttlichen Gedenkens) sowie qualitative Interviews mit Sufi-Führenden und Gemeinschaftsmitgliedern. Bei der Auswahl der Teilnehmenden für das Interview wurde auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis geachtet. Dies ermöglichte ein nuanciertes und dynamisches Bild weiblicher spiritueller Praxis, Führung und Vision. Die Arbeit zeigte auch, dass der mystische Islam und Sufismus, eine Tradition, die sich im ständigen Dialog mit der Gesellschaft und ihrer politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Dynamik befindet, das Potential besitzt, Geschlechternormen sowie etablierte – theologische und politische – Hierarchien zu durchbrechen. Dieser Prozess wird dadurch unterstützt, dass Frauen eine öffentliche Stimme gegeben wird, die sich über geographische Regionen erstreckt. Kuehn richtete ihren Blick auch auf die kulturelle Produktion der Sufi. Dazu zählen alle visuellen Materialien sowie innere „Visionen“, die von Sufi-Akteuren, darunter Führungspersönlichkeiten, Mitglieder, Kunst- und Musikschaffende, erzeugt wurden. „Vision kann sich auf die Wahrnehmung der Realität beziehen, die über das sogenannte geistige Auge erfolgt. Dies umspannt das physische Sehvermögen oder die mentale Vorstellung, bzw. das Erfassen immaterieller Realitäten oder zukünftiger Ereignisse“, erklärt Projektkoordinator Dionigi Albera.

Wenn zwei Welten aufeinandertreffen

„Eine der beiden Herausforderungen, die sich bei der Durchführung der ethnografischen Forschungsarbeit im Hinblick auf einige Sufi-Gemeinschaften stellte, besteht sicherlich in der religiösen Bekehrung und deren möglichen Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Gemeinschaftsmitgliedern und Forschenden. Darüber hinaus bestimmte die Geschlechtszugehörigkeit in manchen Fällen den Rahmen der Forschungsarbeit und schränkte die Möglichkeiten bei der Datenerhebung ein“, so Albera. Trotz der Schwierigkeiten erzielte das zweijährige Forschungsprojekt hervorragende Ergebnisse. Die jüngste Veranstaltung im Rahmen von SufiVisual war die internationale Online-Konferenz „Female Visions: The Religious Visual Culture of Contemporary Female Islamic Mysticism“, die vom 16.-18. Oktober 2020 in Stuttgart ausgerichtet wurde. Das Programm bestand aus einem akademischen Teil mit 16 Präsentationen wissenschaftlicher Arbeiten, einem „praktischen“ Teil mit Präsentationen von 6 Sufi-Führerinnen, sowie einem künstlerischen Teil mit Video- und Ton-Installationen. Es kann online auf der öffentlich zugänglichen Konferenz-Website eingesehen werden.

Extrovertierte Sufi-Strömungen

„Wir können eine Erneuerung des Sufismus in gegenwärtigen Gesellschaften beobachten, die auch neue kulturelle Formen beinhaltet. Die Sufis von heute drücken sich nicht nur durch traditionelle geistliche Musik oder arabische Kalligraphie aus, sondern auch durch plastische Kunst, Fotografie, Tanzdarbietungen und zum Beispiel Rap“, betont Albera. „Darüber hinaus lässt die Vorrangstellung der spirituellen Erfahrung in Sufi-Kontexten wenig Raum für die Identitätsdimension (die manchmal in einem westlichen islamischen Kontext vorherrscht); der Zustrom von Konvertiten in einigen Sufi-Gemeinschaften führt außerdem zu einer großen kulturellen und religiösen Fluidität. Diese Fluidität macht den zeitgenössischen Sufismus zu einem dynamischen Laboratorium in der Entwicklung des zeitgenössischen Islam.“

Schlüsselbegriffe

SufiVisual, Sufismus, Islam, visuelle Kultur, Geschlecht, religiöser Pluralismus, ethnografische Forschung

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