Behandlung von Gendefekten als Strategie gegen Amyotrophe Lateralsklerose
Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine neurodegenerative Erkrankung, die das Nervengewebe schädigt und zu fortschreitendem Bewegungsverlust führt. ALS beginnt mit allgemeinen Bewegungsstörungen und führt später zur vollständigen Muskellähmung, wobei die durchschnittliche Lebenserwartung ab Erstmanifestation bei fünf Jahren liegt. „Bislang ist ALS nicht heilbar“, erklärt Carlos González, Koordinator des Projekts Combat_ALS, vom Spanischen Nationalen Forschungsrat. „Eines der größten Probleme ist, dass ALS auch Nerven im Gehirn schädigt.“ Und das Gehirn sei, wie González ausführt, das komplexeste, unzugänglichste und am wenigsten erforschte Organ des menschlichen Körpers. „Außerdem sind die genauen Ursachen der Krankheit bislang ungeklärt“, sagt er.
Genetische Ursachen für ALS
Das durch die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen finanzierte Projekt Combat_ALS untersuchte nun spezifische genetische Aspekte von ALS. Schwerpunkt war das spezifische Gen C9orf72, dessen Mutation als maßgebliche genetische Ursache für ALS gilt. Das mutierte Gen transkribiert eine massive Wiederholung (Repeats) einer spezifischen https://www.genome.gov/genetics-glossary/RNA-Ribonucleic-Acid (RNA)-Sequenz. Die Mutation ist der häufigste mit der Krankheit assoziierte Gendefekt. „Bei ALS finden sich hundert- bis tausendfache Repeats der Sequenz “, erklärt González, „bei gesunden Menschen hingegen liegt die Repeatlänge bei etwa zwei bis 20.“
Einfluss mutationsderivierter RNA
Dass die auf C9orf72-Mutationen zurückgehenden RNA-Repeats toxisch auf Zellen wirken, ist bereits belegt. So binden die Repeats z. B. an Proteine und stören damit deren Funktion. Da sie bei ALS häufig und ein möglicher Krankheitsauslöser sind, kommen sie durchaus als therapeutische Zielstrukturen in Frage. Um der vielversprechenden Forschungsrichtung nachzugehen, analysierte Combat_ALS die Struktur der RNA und deren Aggregate mit verschiedensten Verfahren, u. a. MRT und Rasterkraftmikroskopie (AFM). „Dies zeigte, dass die RNA – abhängig von Faktoren wie Temperatur und pH-Wert – offenbar verschiedene Konfigurationen annehmen kann“, sagt González. „So ließ sich die Bildung von RNA-Aggregaten etwa durch Erwärmung oder Abkühlung induzieren. Mit dem Rasterkraftmikroskop konnten wir auch Aufnahmen dieser Aggregate erstellen, um nun deren tatsächliche Form zu ermitteln.“ Als nächstes identifizierte die Arbeitsgruppe kleine Moleküle und Antisense-Oligonukleotide (ASO), die die RNA zerstören könnten. „Dabei erhielten wir ein Set von Antisense-Oligonukleotiden, die mit Fluormodifikationen bestückt sind“, ergänzt González. „Einige dieser Nukleotide erwiesen sich als sehr aktiv und konnten die zellulären Defekte in Zellproben von ALS-Kranken signifikant reduzieren.“
Vielversprechendes klinisches Potenzial
Die Ergebnisse belegen die Eignung mehrerer chemischer Modifikationen, um in ALS-geschädigten Zellen potenzielle Korrekturen vorzunehmen. Mit diesen vielversprechenden Ansätzen könnte ALS möglicherweise eines Tages heilbar sein, obwohl der Weg bis zur klinischen Validierung noch lang ist. „Hierzu sollen unsere wirksamsten Moleküle nun an komplexeren Modellorganismen evaluiert werden“, sagt González. Weiterhin könnten einige der Strukturbeschreibungen, die Combat_ALS von RNA-Aggregaten lieferte, Grundlage für die Entwicklung und Optimierung von Molekülen sein, die spezifische krankheitsassoziierte Strukturen angreifen. „Das letztliche Ziel ist natürlich eine wirksame ALS-Therapie“, ergänzt González, „aber Heilung ist noch nicht wirklich in Sicht. Für mich als Wissenschaftler wäre es aber schon ein enormer Erfolg, diesem ehrgeizigen Ziel einen Schritt näher gekommen zu sein.“
Schlüsselbegriffe
Combat_ALS, ALS, neurodegenerativ, genetisch, Therapie, Lähmung, Gehirn