Das öffentliche Narrativ als Mittel, um gesellschaftliche Ungleichheiten auszubügeln
Solidaritäts- und Unterstützungsnetzwerke für Roma-Frauen können durch angemessene theoretische und praktische Werkzeuge gestärkt und besser organisiert werden. Mit Unterstützung durch die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen ging das Projekt Narratives4Change der Frage nach, wie sich das öffentliche Narrativ nutzen lässt, um in unterschiedlichen Handlungsfeldern individuelle und kollektive Führung zu entfalten – wie etwa bei der Interessenvertretung und Organisation in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Politik sowie in kulturellen und geografischen Kontexten. In seiner vielfältigen und facettenreichen Forschung konzentrierte sich Narratives4Change auf die Voraussetzungen, die gegeben sein müssten, damit Vereinigungen von Roma-Frauen in Spanien und die Bewegung der Roma-Frauen in Europa im Allgemeinen das öffentliche Narrativ zu ihren Gunsten nutzen können. Ziel des Projektes war ein besseres Verständnis davon, wie das öffentliche Narrativ Individuen befähigt, agentisch zu handeln und agentisches Handeln auch in anderen zur Entfaltung zu bringen, und folglich auch davon, wie es zur Verbesserung von organisatorischen Kapazitäten beitragen kann.
Ergründung des öffentlichen Narrativs durch kreative, qualitative Forschung
Mit Blick auf dieses Ziel führte Narratives4Change zwei miteinander verknüpfte Studien durch. Die erste umfasste die sogenannte Public Narrative Impact Survey 2020, eine Erhebung, in der die Nutzung des öffentlichen Narrativs kartiert und erfasst und seine Wirkung verfolgt wurde. „Entgegen unserer Erwartungen, als wir die Teilnehmenden zu ihrer Nutzung des öffentlichen Narrativs befragten, stellten wir fest, dass die Mehrheit nicht darauf zurückgriff, um mit einem großen Zielpublikum zu kommunizieren, sondern es vielmehr zur Kommunikation in kleinerem Rahmen nutzte“, erklärt Projektkoordinatorin Emilia Aiello. Die zweite Studie widmete sich drei Fallstudien zu Kampagnen mit Organisation oder Unterstützung durch zivilgesellschaftliche Organisationen oder öffentlich-rechtliche Einrichtungen, die bei der Implementierung ein öffentliches Narrativ nutzten: die Kampagne „Stand Up with the Teachers“ (QMM), die von an Privatschulen beschäftigten Lehrerinnen geleitet und von der Ahel-Organisation unterstützt wurde; die Kampagne „Drive Michigan Forward“, die von einem Zusammenschluss mehrerer Organisationen in Michigan geleitet wurde; und das Programm „Maternity Voices Partnership“, das von der Organisation Horizons-NHS in England unterstützt wurde. „Die bisherigen Erkenntnisse zeigen, dass Führungskräfte, die im Umgang mit öffentlichen Narrativen geschult sind und den narrativen Rahmen lernen und ausgestalten, besser in der Lage sind, ihre gemachten Erfahrungen zu verstehen, zu artikulieren und schließlich in einer Art und Weise zu nutzen, die die grundlegenden Werte anderer anspricht und weckt“, erklärt Aiello. „Zudem ist es dadurch möglich, gemeinsame Werte auf strukturierte Weise zu kommunizieren, einander von Angesicht zu Angesicht zu begegnen und sich kennenzulernen und sich auf eine gemeinsame Agenda zu verständigen, die auf den Bedürfnissen der Gemeinschaft aufbaut.“
Das „Selbst“ und das „Wir“ im „Jetzt“
Die Public Narrative Impact Survey 2020 legt außerdem nahe, dass eine wesentliche Grundvoraussetzung für nachhaltigen Wandel darin besteht, eine Führung aufzubauen, die auf zwischenmenschlichen Beziehungen auf der Grundlage von Vertrauen und Solidarität aufbaut und einen klaren „gemeinsamen Daseinssinn“ hat: die Dimension des „Wir“. Mithilfe des öffentlichen Narrativs lassen sich individuelle und kollektive agentische Kapazitäten selbst unter schwierigen Bedingungen weiterentwickeln. Mit Intention als wesentlichem Element der Erzählung trägt das öffentliche Narrativ zur Gestaltung des „Selbst“ im Dialog mit dem „Wir“ und umgekehrt auch im „Jetzt“ bei. Gemeinsame Erfahrungen und Werte fungieren als einende Elemente und bilden gleichzeitig auch die Grenzen einer Gruppe. Bei der Nutzung eines öffentlichen Narrativs verlagern sich Führerschaft und soziale Beziehungen zudem von transaktionalen Aktivitäten auf Gelegenheiten für einen potenziellen gesellschaftlichen Wandel. „Der Blick verschiebt sich also vom Materialistischen hin zu einer moralischen Anschauung“, betont Aiello. Zu guter Letzt ergab sich die überraschende Feststellung, dass sich das öffentliche Narrativ sowohl in idealen als auch schwierigeren gesellschaftlichen Kontexten als allgemein vorteilsbringende Führungspraxis erwies.
Schlüsselbegriffe
Narratives4Change, öffentliches Narrativ, Roma-Frauen, Führungspraxis, zivilgesellschaftliche Organisationen, benachteiligte Gruppen