Neuer Ansatz zur Untersuchung politischer Gefangenschaft
Während der Epoche des Risorgimento(öffnet in neuem Fenster) verbrachten zahlreiche italienische politisch Aktive und Intellektuelle einen Teil ihres Lebens im Gefängnis, um für die Anerkennung der politischen und bürgerlichen Rechte oder die nationale Unabhängigkeit zu kämpfen. Auf der Grundlage dieser Erfahrung schufen sie eine Identität, die auf den Konzepten von Märtyrertum und Opferbereitschaft beruht. Dank medialer und politischer Strategien wurde die Behandlung politischer Gefangener zu einem internationalen und diplomatischen Anliegen: Politische Gefangene, die für Freiheit oder Emanzipation kämpften, wurden zu Vorbildern, die bereit waren, ihr Leben für die Nation oder den politischen Liberalismus zu opfern, und warben in ihrem Namen für ein länderübergreifendes Engagement. „So sind zum Beispiel die 1832 veröffentlichten ‚Meine Gefängnisse‘ von Silvio Pellico(öffnet in neuem Fenster) die berühmtesten Memoiren eines Häftlings, die internationale Bedeutung erlangt haben“, erläutert Elena Bacchin, Koordinatorin des EU-finanzierten Projekts PoliticalPrisoners. Mit Unterstützung der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen(öffnet in neuem Fenster) wurde das Projekt PoliticalPrisoners ins Leben gerufen, um die internationale Rolle und Darstellung politischer Gefangener im Italien des 19. Jahrhunderts zu erforschen. Im Dezember 1858 wurden beispielsweise die Strafen von 91 neapolitanischen politischen Gefangenen durch eine Amnestie in eine Ausweisung in die Vereinigten Staaten umgewandelt. Etwa 61 Häftlinge legten nach New York ab, doch nachdem ihr Schiff umgeleitet worden war, gingen sie schließlich in Irland von Bord. „Ihre Ankunft auf britischem Territorium löste viel Aufregung aus. Sie wurden als ‚Märtyrer der Freiheit‘, als Vorbilder der Freiheit und des Kampfes gegen die Tyrannei bezeichnet. In nur wenigen Monaten wurden mehr als 10 000 britische Pfund gesammelt, wobei ein großer Teil aus kleinen Spenden aus dem gesamten Vereinigten Königreich stammte“, erklärt Bacchin.
Länderübergreifend und patriotisch Agierende
Durch intensive Archivrecherche erreichte PoliticalPrisoners sein Ziel, indem es ein überzeugendes Argument für die Rolle politischer Gefangener als transnationale und patriotische Agierende des 19. Jahrhunderts lieferte und das europäische Engagement für politische Gefangene und für Menschen, die wegen ihrer politischen Ansichten verfolgt wurden, hervorhob. Das Projekt analysierte die transnationalen und humanitären Auswirkungen der Praktiken der politischen Inhaftierung patriotischer Personen in Italien sowie ihre Verbindung mit internationalen Debatten über Strafe, Nationalismus und Humanismus, die während des Risorgimento (1815-1861) geführt wurden. „Konkret wurde im Rahmen der Forschung die bisher nicht hinreichend beleuchtete Frage der politischen Gefangenen im Italien des 19. Jahrhunderts betrachtet, wobei die Vorstellung infrage gestellt wurde, dass politische Häftlinge erst im 20. Jahrhundert zu einem internationalen Thema wurden und die länderübergreifende Rolle der politischen Gefangenen als Agierende des italienischen Risorgimento analysiert wurde“, fügt Bacchin hinzu.
Politische Gefangenschaft durch ein neues Objektiv betrachten
PoliticalPrisoners geht über den aktuellen Stand der Forschung hinaus, indem es einen neuen Ansatz zur Untersuchung der politischen Gefangenschaft vorstellt, der ihre transnationale und humanitäre Dimension hervorhebt und verdeutlicht, dass politische Gefangene bereits im 19. Jahrhundert ein internationales Anliegen waren. „Darüber hinaus wirft die Untersuchung ein Licht auf die historische Entwicklung des Themas der politischen Gefangenschaft und auf die internationale Solidarität. PoliticalPrisoners kommt daher zur rechten Zeit, denn es spielt eine entscheidende Rolle für das Verständnis und die Umsetzung der Lehren aus der Geschichte in Bezug auf aktuelle Themen, die Förderung des öffentlichen Bewusstseins für politische Unterdrückung und Verfolgung sowie die internationale Solidarität und Intervention zugunsten von Flüchtlingen in der heutigen Welt“, betont Bacchin. „Die Forschung trägt außerdem dazu bei, die historische Sensibilität und das Engagement Europas gegenüber politischen Gefangenen und Menschen, die wegen ihrer politischen Meinung verfolgt werden, sowie die Entwicklung des internationalen Schutzes und des humanitären Diskurses zu verstehen“, schließt Bacchin. Die wichtigsten Forschungsergebnisse werden in einzelnen Artikeln in führenden akademischen Fachzeitschriften und in einem in Kürze erscheinenden Buch veröffentlicht.