Warum der Ton wichtig ist
In allen Sprachen wird über die Tonhöhe Bedeutung vermittelt. Im Englischen beispielsweise zeigt eine steigende Tonhöhe eine Frage an („Kaffee?“), während eine fallende Tonlage auf eine Antwort oder Zustimmung schließen lässt („Ja, Kaffee!“). Aber das ist ein ziemlich einfaches Beispiel dafür, warum der Ton von Interesse ist. Mindestens bei der Hälfte aller Sprachen weltweit werden mit Stimmlagenänderungen die Bedeutungen eines bestimmten Wortes unterschieden. Nehmen wir zum Beispiel Thai, wo die Silbe „klai“ mit fallender Tonhöhe „nah“ bedeutet, mit gleichbleibender Tonlage jedoch das Gegenteil: „fern“. „Diese Verwendung der Tonhöhe zur Unterscheidung der Bedeutung von Wörtern wird in der Linguistik als ‚lexikalischer Ton‘ bezeichnet“, erklärt James Kirby(öffnet in neuem Fenster), Linguist und Sprechwissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München(öffnet in neuem Fenster). Laut Kirby werden in Sprachen wie Thai, Vietnamesisch und Mandarin die Wörter nicht immer anhand der Tonhöhe unterschieden. „Im modernen Mandarin wird ‚huà‘, was ‚Rede‘ oder ‚Worte‘ bedeutet, mit einem hohen, fallenden Ton ausgesprochen“, erlärt er. „Aber vor 2 500 Jahren wurde es in etwa wie ‚grods‘ ausgesprochen.“ Warum die Änderung? Mit Unterstützung des EU-finanzierten Projekts EVOTONE(öffnet in neuem Fenster) hoffte Kirby, zusammen mit einem internationalen Forschungsteam Neues herauszufinden.
Daten von asiatischen Sprachen sammeln
Zu Beginn erfasste und analysierte das Team des vom Europäischen Forschungsrat(öffnet in neuem Fenster) unterstützten Projekts akustische, instrumentelle und wahrnehmungsbezogene Daten über die weniger verbreiteten Sprachen Ost- und Südostasiens. Die Forschenden evaluierten außerdem die Rolle struktureller Faktoren wie der Wortform bei der Entstehung des lexikalischen Tons. Sie synthetisierten und analysierten zudem eine große Datensammlung aus Wörterbüchern und Wortlisten und entwickelten Aufnahmen naturalistischer Sprache, um eine Reihe von Prinzipien der Tonänderung festzulegen und zu bewerten.
Neue Erkenntnisse über Tonhöhe und lexikalischen Ton
Diese Arbeit ergab einige interessante Erkenntnisse. „Bei unserer Arbeit mit Sprechenden der Mon- und Khmu-Sprachen, die viele der Konsonanten bewahren, die in anderen Sprachen zu Tönen geworden sind, stellten wir fest, dass der Einfluss bestimmter Konsonanten auf die Tonhöhe weit weniger lokal als bisher angenommen ist“, bemerkt Kirby. Forschenden fanden außerdem heraus, dass Unterschiede am Anfang von Tönen nicht immer in gleicher Weise wahrgenommen werden. „Wir stellten fest, dass die Zuhörenden viel empfindlicher auf Änderungen am Ende von Tönen als auf Änderungen am Anfang reagieren“, fügt Kirby hinzu. „Das war etwas überraschend, da der Anfang von Silben im Allgemeinen als wahrnehmungsbezogen auffälliger als das Ende einer Silbe gilt.“ Viele der Erkenntnisse des Projektteams wurden in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht(öffnet in neuem Fenster).
Triebkräfte der Sprachevolution verstehen
Durch die Arbeit des Projekts EVOTONE konnte anhand der Erweiterung unseres Verständnisses, wie sich Sprachen unterscheiden und auch nicht unterscheiden, und wie sie sich im Verlauf der Zeit verändern, der Weg dafür bereitet werden, historische sprachliche Veränderungen nachzuverfolgen, sprachliche Unterschiede zwischen Gruppen in der Gegenwart zu erklären und jene Faktoren besser zu verstehen, die die Evolution von Sprache vorantreiben. „Der linguistische Ton ist nur ein Merkmal der menschlichen Sprache, aber da er so häufig vorkommt und weit verbreitet ist – und weil er erst vor kurzem in so vielen Sprachen aufgetaucht ist –, hilft uns die Untersuchung seiner Entstehung und Evolution, die Grenzen der Sprachvariation und des Sprachwandels ganz allgemein zu verstehen“, schlussfolgert Kirby. Das Projektteam ist gegenwärtig damit beschäftigt, seine große Auswahl an Datenressourcen und Materialien(öffnet in neuem Fenster) für die Forschungsgemeinschaft zugänglich und nutzbar zu machen.