Gewinner der ERC-Fördermittel für Nachwuchswissenschaftler stellen ihre Pläne vor
Die ersten Gewinner der durch den Europäischen Forschungsrat (European Research Council, ERC) vergebenen Fördermittel für Nachwuchswissenschaftler (Starting Grants) erklärten am 7. Oktober in Paris, Frankreich, wie sie die ihnen zugedachte finanzielle Unterstützung einsetzen werden, und gaben eine Stellungnahme zur Arbeit des ERC ab. Sie hoben positiv hervor, dass der Rat die interdisziplinäre Forschung und aufkommende Fachbereiche anerkennt, außerdem die örtliche Ungebundenheit der Fördermittel und die Höhe der Gelder, wodurch sie sich fünf Jahre lang auf ihre Arbeit konzentrieren können, ohne Zeit für die Suche nach Finanzierungsmitteln opfern zu müssen. Der Bereich, der den Empfängern der Fördermittel zufolge den größten Verbesserungsbedarf aufwies, war die Gremienauswahl im Bewerbungsverfahren. Dass neue Disziplinen anerkannt werden, wurde als ein Aspekt von unschätzbarem Wert angesehen. Dr. David Holcman vom Nationalen wissenschaftlichen Forschungsinstitut (CNRS - Centre national de la recherche scientifique), Frankreich, der für die aufkommenden Disziplinen computergestützte Biologie und zellbiologische Modellierung eine Führungsrolle einnimmt, erklärte hierzu: "Der ERC bietet uns Nachwuchswissenschaftlern eine großartige Gelegenheit, da die Politik auf lokaler Ebene auf diese Weise nicht in die Forschung eingreifen kann." Dr. Esperanza Alfonso, eine Forscherkollegin am Zentrum für Sozial- und Geisteswissenschaften (Centro de Ciencias Humanas y Sociales) in Madrid, Spanien, würdigte auch die Anerkennung von interdisziplinären Fachbereichen: "Damit die Studenten eine wirkliche Chance haben, sich zu entwickeln, muss ihnen gestattet sein, auch fachbereichs- und disziplinübergreifend zu arbeiten. Dies stellt nicht nur in Spanien oder Europa eine Schwierigkeit dar." Dr. Alfonso untersucht die kulturelle Vielfalt im Mittelalter, insbesondere die gemeinsame Nutzung von Informationen und Ikonografie für die heiligen Schriften (die sämtliche Aspekte des Lebens festlegten) der Juden, Muslime und Christen auf der Iberischen Halbinsel. Dr. Alfonso machte zudem darauf aufmerksam, dass die geisteswissenschaftliche Forschung in der ganzen Welt vernachlässigt wird. In der ersten Vergaberunde für die Starting Grants des ERC erhielten 27 Geisteswissenschaftler und 30 Sozialwissenschaftler finanzielle Unterstützung. Dem Ratsmitglied des ERC Dr. Alain Peyraube zufolge stellt dies einen weitaus höheren Anteil dar, als auf nationaler oder EU-Ebene bisher üblicherweise vergeben wurde. Vor den ERC-Fördermitteln hatte Dr. Alfonso eine finanzielle Unterstützung in Höhe von insgesamt 5.000 Euro von Spanien erhalten. "Die ERC-Gelder", so Dr. Alfonso weiter, "geben mir absolute Freiheit und Unabhängigkeit." Dr. Guillaume Dubus, Astrophysiker am Laboratoire d'Astrophysique de Grenoble in Frankreich, beschäftigt sich mit der Beobachtung von hochenergetischen Gammastrahlen. Er arbeitet an den Gemeinschaftsprojekten HESS (high-energy stereoscopic system) und Fermi Space Telescope mit. "Die Beobachtung von Gammastrahlen wird immer wichtiger", erklärt er. "Durch die internationale Konkurrenz sind wir gezwungen, Ergebnisse zu liefern, und diese Forschungsarbeit erfordert Fachwissen in vielen Bereichen." Dank der ERC-Fördermittel kann Dr. Dubus nicht nur sehr kostspielige Ausrüstungen nutzen, sondern sich auch auf die Analyse der Daten konzentrieren. Er erklärte, dass Fördermittel gewöhnlich für den Einsatz von Ausrüstungen verwendet werden, "wenn dann aber die zur Analyse der Daten erforderliche Arbeit bezahlt werden soll, reichen die Gelder nicht mehr. Man braucht finanzielle Mittel, um die Daten von z.B. Doktoranden oder Postdoktoranden analysieren zu lassen." Mit den ERC-Fördermitteln kann er seine Projekte nun zu Ende führen. Laut den Empfängern der Fördermittel bietet das ERC-Bewerbungsverfahren noch Raum für Verbesserungen. Vor allem beim Verfahren zur Auswahl der Expertengremien wurden Mängel festgestellt. Ein Grund hierfür ist der Wandel der Wissenschaften: Es gibt viele aufkommende Fachgebiete, wie z.B. die Biophysik, bei denen die Verkettung von Disziplinen die Auswahl von geeigneten Gutachtern erschwert. Dr. Ivo Gomperts Boneca vom Institute Pasteur in Frankreich äußerte sich hierzu: "Zur Durchsicht der Angebote muss man die richtigen Personen mit dem richtigen Fachwissen finden. [...] Für die Wissenschaftler wäre es von Vorteil, wenn sie sich gleichzeitig zu mehreren Gremien anmelden könnten. Damit würde verhindert, dass [der ERC] auf die besten verzichten von ihnen muss." Dr. Boneca erforscht das Bakterium Helicobacter pylori, das Magengeschwüre und Magenkrebs verursacht und mit dem etwa die Hälfte der Weltbevölkerung infiziert ist. "Dies ist ein wirklich übergreifendes Projekt. Es geht einzig um Immunologie, ich bin aber ein Bakteriologe und komme ursprünglich aus der Chemie. Es sind sehr viele verschiedene Disziplinen involviert." Die Forschungsumgebung im Vereinigten Königreich wurde viel diskutiert, und diejenigen, die dort schon einmal gearbeitet haben, teilen die dortigen Ansichten. Dr. Maja Pantic vom Imperial College London, Vereinigtes Königreich, untersucht die maschinelle Analyse der menschlichen nonverbalen Kommunikation und erklärte: "Auf einem ebenen Spielfeld gibt es überzeugende Vorteile: Die Hierarchie ist überschaubarer und man kann sich eher aussuchen, mit wem man arbeiten möchte." Thomas Mrsic-Flogel vom University College London, Vereinigtes Königreich, der untersucht, wie Erfahrungen die Funktion und die Vernetzung des Gehirns formen, fügte hinzu: "In Deutschland sind die Chancen, als Nachwuchswissenschaftler Fördermittel zu bekommen, oder die Aussichten auf eine Festanstellung am Anfang der Laufbahn, viel geringer." Dadurch, dass die Fördermittel örtlich ungebunden sind, sind sie flexibel, und alle Empfänger waren regelrecht begeistert davon, ihre Gelder mitnehmen zu können. Einer von ihnen sagte: "Aus psychologischer Sicht ist es gut zu wissen, dass man auch gehen kann. So kann man sich auf seine Arbeit konzentrieren. Die Universität weiß das und kommt einem daher eher entgegen." Ein weiterer Bezieher war der Ansicht, dass die Ungebundenheit "gut für Forscher ist und die Institutionen dazu anregt, um die Empfänger der ERC-Fördermittel zu konkurrieren." Die Nachwuchsforscher richteten sich mit praktischen Tipps an die Bewerber der nächsten Runde. Dr. Mrsic-Flogel erklärte, dass, wenngleich in den Antragsunterlagen stehe, das Forschungsprojekt "solle gewagt oder gar riskant" sein, müsse man sich schon etwas "Machbares" auswählen. "Es muss aufregend oder wichtig sein", fügte er noch hinzu. Dr. Dubus bemerkte, dass der ERC "Bewertungen und Anerkennungen auf internationaler Ebene liefert. Er gibt uns eine Chance, indem er Nachwuchswissenschaftlern sein Vertrauen entgegenbringt. Ohne die Fördermittel des ERC wären meine Ziele bescheidener, und ich könnte einen weitaus geringeren Einfluss in diesem Bereich ausüben." Dr. Boneca ergänzte: "Der ERC ist ein großartiges Konzept, das in Europa noch gefehlt hatte. Trotz der Tatsache, dass wir Forscher sind und unsere Arbeit lieben und sie ganz offensichtlich nicht des Geldes wegen tun, ist dies ein Markt wie jeder andere auch - ein Markt voll brillanter Wissenschaftler. Und mithilfe des ERC kann man dies nun auch sehen."
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