Modelle der gesamten Herzfunktion für effektivere Behandlung
Gängige Tomografien liefern in sehr hoher, manchmal sogar parazellulärer(öffnet in neuem Fenster) Auflösung eine Vielzahl an Informationen über die Anatomie, Struktur und Funktionsweise des Herzens. Doch die Personalisierung bzw. digitale Technologien, die diese dichten Datensätze vollständig ausschöpfen und Anatomie und Physiologie des Patienten präzise abbilden könnten, stecken noch in den Kinderschuhen. Mit Unterstützung der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen konnte der Forschungsstipendiat im Projekt InsiliCardio eine Machbarkeitsstudie zur personalisierten Simulation der gesamten Herzfunktion einzelner Patienten abschließen. Ausgegeben wurden dann anatomisch detaillierte, hochaufgelöste Modelle, die die drei wichtigsten physikalischen Bereiche abdecken (Strömung, Struktur und Elektrizität). Die Abläufe dieser Modellierungen zeigten, dass elektrisch-mechanisch-strömungstechnische Modelle vom Herzen nun immer besser umsetzbar werden. Zwar verursacht ihre Erstellung noch hohe Kosten, doch diese Modelle sind ein vielversprechendes Werkzeug, um Reaktionen auf medizinische Eingriffe vorhersagen zu können.
Simulation der gesamten elektrisch-mechanisch-strömungstechnischen Herzfunktion
InsiliCardio greift auf ein breites fachliches Spektrum zurück, wie Kardiologie (Herzrhythmusstörungen, Herzversagen und Behandlungsmethoden), biomedizinisches Engineering (Aufbau von Modellen, medizinische Bildanalyse und Abbildungstechniken) sowie Mathematik (numerische Methoden und wissenschaftliches Rechnen). Über diesen multidisziplinären Ansatz konnten mehrere Studien durchgeführt werden, die nachgewiesen haben, dass die Computermodelle auf klinisch relevante Fälle anwendbar sind. Spannungen der linken Herzkammerwand und biomechanische Kräfte sind beispielsweise potenzielle Biomarker zur Diagnose und Vorhersage des Verhaltens nach Abschluss der Behandlung. Doch mit Routineverfahren in der Klinik oder durch medizinische Bildgebung sind diese noch nicht ablesbar. Die Modellierung von InsiliCardio ermöglicht es jetzt, diese vielversprechenden Biomarker besser nutzen zu können. Ein weiterer Teil des Projekts war die Entwicklung von mechanischen Modellen des Vorhofs. Dabei wurde deutlich, dass für eine genaue Berechnung der lokalen Wandspannung unbedingt personalisierte Messungen der Wandstärke notwendig sind. Spitzen in der Wandspannung im Vorhof deuten auf einen Gewebeumbau hin, der Fibrose(öffnet in neuem Fenster) zur Folge haben kann, einen der größten Risikofaktoren für die Entstehung von Vorhofflimmern. Das Team hat ein Simulationsframework entwickelt, mit dem sich dieser Zusammenhang zwischen lokaler Anatomie, Mechanik und Elektrophysiologie genauer betrachten lässt. „Auf kurze Sicht könnten unsere Modelle Patientenauswahl, therapeutische Planung und Risikomanagement verbessern, was auch klinisch Vorteile mit sich bringt“, so Forscher Christoph Augustin. „Besonders Modelle, die Biomarker simulieren können, die aus der Bildgebung oder klinischen Messungen nicht ersichtlich sind, können bei grenzwertigen oder komplexen Fällen bei der Entscheidungsfindung helfen.“
Für bessere Therapieplanung
Die Computermodelle vom Herzen werden im Leben der europäischen Bürgerinnen und Bürger eine wichtige Rolle spielen, sei es als industrielles Entwicklungsinstrument für medizinische Geräte(öffnet in neuem Fenster) (MDDT), speziell zur Konstruktion und Optimierung von Geräten für das Herz, oder als Software als medizinisches Gerät(öffnet in neuem Fenster) (SaMD) für klinische Anwendungen in Diagnose und Therapie. Geräte für das Herz, mechanische Herzklappen oder Stents könnten durch die Arbeiten des Projekts InsiliCardio besser konstruiert und optimiert werden. Eine quelloffene Version der Software, opencARP(öffnet in neuem Fenster), wird für wissenschaftliche Zwecke frei zur Verfügung stehen. Bisher enthält openCARP auch den elektrophysiologischen Simulator, später sollen noch Module für Mechanik und Strömungsdynamik eingebunden werden. Um noch weiter voranzukommen, wird Augustin die Daten und Modelle aus InsiliCardio auch im Projekt SICVALVES(öffnet in neuem Fenster) einsetzen. Dort sollen sie zu Modellen für Wachstum und Remodeling(öffnet in neuem Fenster) weiterentwickelt werden, um die ventrikuläre Hypertrophie(öffnet in neuem Fenster), also die krankhafte Verdickung einer Herzkammerwand, genauer untersuchen zu können. Diese ist ein großer Risikofaktor für Herzversagen. Das Team will mit seinen Arbeiten eine effektivere klinische Planung der Therapien ermöglichen. „Wir gehen davon aus, dass in Zukunft Computermodelle genutzt werden, um das Fortschreiten von Krankheiten zu bewerten und langfristigere Vorhersagen therapeutischer Ergebnisse zu bekommen“, so Augustin.