Molekulare Profile von Prostatakrebs wecken Hoffnung auf wirksamere Medikamente
Etwa einer von neun Männern erhält die Diagnose Prostatakrebs. Im Jahr 2018 gab es weltweit 1,2 Mio. Neudiagnosen von Prostatakrebs, davon etwa 500 000 in Europa. Prostatakrebs ist damit bei Männern die am zweithäufigsten diagnostizierte Krebsart. Zwar wurden neue Medikamente zur Behandlung entwickelt, doch durch häufige Arzneimittelresistenz und Nebenwirkungen bleibt die Ansprechrate weiter niedrig. Um wirksamere Medikamente entwickeln zu können, hat sich das EU-geförderte Projekt PCaProTreat zum Ziel gesetzt, den aktuellen Wissensstand über Prostatakrebs auf molekularer Ebene auszubauen. Dazu modellierte PCaProTreat Big Data aus Technologien verschiedener molekularer Analyseebenen (sogenannte Multiomiken), unter anderem Plasma aus Urin und Sperma, Peptidomik, Proteomik von Geweben und Transkriptomik sowie aus Definitionen molekularer Signaturen für Krankheitsfortschritte aus der Fachliteratur. Im Anschluss bestimmten bioinformatische Instrumente neue medikamentöse Angriffspunkte und potenzielle therapeutische Wirkstoffe. „Momentan sind keine Wirkstoffe auf Basis verschiedener molekularer Profile in klinischer Entwicklung. Das ist also eine echte Innovation“, so Marie Skłodowska-Curie-Stipendiatin Agnieszka Latosinska vom Projektträger Mosaiques Diagnostics.
Die molekulare Signatur
Prostatakrebs ist eine hochkomplexe Erkrankung. Die Patienten können zwar ähnliche Symptome zeigen, doch die Molekülgruppen, die als „molekulare Signatur“ bezeichnet werden und für den Krankheitsfortschritt verantwortlich sind, können von Patient zu Patient unterschiedlich sein. Wirkstoffe setzen aber auf molekularer Ebene, meist an Proteinen an. Dieser molekulare Unterschied zwischen den Patienten könnte also dazu führen, dass ein Wirkstoff zwar Einzelnen hilft, aber nicht bei allen Wirkung zeigt. Da die molekulare Umgebung zudem dynamisch ist, könnten Tumore Resistenzen entwickeln und das Medikament wirkungslos machen. Wertvolle Proben mit dichten molekularen Informationen können aus Prostatagewebe, Urin oder Samenplasma gewonnen werden. Im Prostatagewebe wächst der Tumor. Samenplasma enthält Proteine, die vom Prostatagewebe abgegeben werden, und Urin enthält Proteine, die in Folge des Tumorwachstums freigesetzt wurden. Zur Untersuchung von Veränderungen in diesen Proben können peptidomische, proteomische und transkriptomische Daten genutzt und auf verschiedenen molekularen Ebenen Tausende Moleküle gleichzeitig evaluiert werden (z. B. mRNA oder Proteine). „Damit ein Tumor wachsen kann, müssen Moleküle zusammenarbeiten. Wenn wir diese molekulare Organisation der Krankheit per Reverse Engineering nachkonstruieren, können wir die besten Angriffspunkte für Wirkstoffe ausmachen, sodass sich der Umgang mit der Krankheit verbessern oder sogar völlig revolutionieren lässt“, erklärt Latosinska.
Warum die Umprogrammierung des Stoffwechsels wichtig ist
Es wurden molekulare Profile des Samenplasmas von 80 Männern, Peptidome im Urin von 823 Männern, das Proteom des Gewebes von 104 Männern sowie transkriptomische Daten von 1 707 Männern analysiert und miteinander verknüpft. All diese verschiedenen Arten von Big Data zu integrieren, stellte eine ziemliche Herausforderung dar. Doch die Beschreibung von Prostatakrebs ausschließlich anhand von klinischen Charakteristika wie Tumorstadium oder prostataspezifischen Antigenwerten reicht nicht aus und muss sinnvoll ergänzt werden. Das Ergebnis ist eine neu entdeckte molekulare Signatur für das Fortschreiten von Prostatakrebs aus 392 Proteinen. Das Team hat gezeigt, dass die beim Fortschreiten von Prostatakrebs auftretenden Veränderungen hauptsächlich von einem Anstieg der Proteine geprägt sind, die an Stoffwechselprozessen beteiligt sind. Die Umprogrammierung des Stoffwechsels ist also der Schlüssel zum Fortschreiten der Krebserkrankung. Aus Computermodellen ergaben sich 68 mögliche Wirkstoffe bzw. Verbindungen, die die molekulare Signatur umkehren und so das Fortschreiten der Erkrankung bremsen könnten. Am vielversprechendsten waren sieben neue Wirkstoffkandidaten, die bislang noch nicht für Prostatakrebs getestet worden waren. Das Team bereitet jetzt in Zusammenarbeit mit Pharmaunternehmen Tests dieser Wirkstoffkandidaten an geeigneten Prostatakrebszelllinien und Tiermodellen vor. Sollten diese erfolgreich verlaufen, werden die Verbindungen anschließend in klinischen Studien am Menschen getestet. „Wenn wir Recht behalten, wenn also die Wirksamkeit des Medikaments davon abhängt, ob es die molekularen Veränderungen beim entstehenden Prostatakrebs umkehren kann, dann könnten wir mit der Entdeckung neuer molekular arbeitender Wirkstoffkandidaten bei den Behandlungsmethoden einige Forschungsschritte glatt überspringen“, ergänzt Latosinska.
Schlüsselbegriffe
PCaProTreat, Prostatakrebs, molekular, Multi-omiken, Erkrankung, Krankheit, Wirkstoffe, Medikamente, Proteine, Samenplasma, Urinpeptidomik, Gewebeproteomik, Transkriptomik, Stoffwechsel, metabolisch