Aufdeckung der soziale Komponenten von Wüsten
Bei Wüsten denkt man oft an karge, leblose Orte, an denen sich kein Mensch lange aufhält. Doch das Gegenteil ist der Fall: Im Laufe der Geschichte dienten Wüsten immer wieder als wichtige Ressourcen und soziale Räume für vernetzte Gemeinschaften. Die Ostwüste Ägyptens gilt beispielsweise als Ort der völligen Leere, die einzig durchbrochen wurde, wenn die Menschen aus dem Niltal dort Ressourcen erschlossen oder Zugang zum Roten Meer suchten. Doch tatsächlich war sie so gut wie nie menschenleer, sagt Bérangère Redon(öffnet in neuem Fenster), Wissenschaftlerin für Archäologie und die Geschichte des ägyptischen Ptolemäerreichs am französischen Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung(öffnet in neuem Fenster) (CNRS) und Koordinatorin des Projekts Desert Networks(öffnet in neuem Fenster). „Nomadenvölker unterschiedlicher Herkunft haben seit Menschengedenken in der Wüste gelebt oder sie durchquert“, erklärt sie. „Es ist nur so, dass sie uns durch ihre Lebensweise und ihre sehr spärliche materielle Kultur nicht so leicht zugänglich sind. Anders als die Bevölkerung des Niltals hinterließen sie keine Schriften.“
Den Geheimnissen der Wüste auf der Spur
Dank des Projekts Desert Networks, das vom Europäischen Forschungsrat(öffnet in neuem Fenster) finanziert wurde, tritt die Bedeutung dieser Wüstenregion als sozialer Nexus nun zutage. Nomadenstämme und Menschen aus Ägypten, Griechenland und dem Römischen Reich hatten alle prägenden Einfluss. Ziel des Projekts war es daher, die Geschichte der Ostwüste von der Zeit der Pharaonen bis zum Alten Rom mit Blick auf diese Netzwerke neu zu schreiben. „Die Rolle dieser vielen und vielfältigen Wüstenbewohnenden in den Kreisnetzen hat es uns ermöglicht, diese Gruppen und ihre Beziehungen zueinander besser zu verstehen“, so Redon. „Es liegen uns Belege dafür vor, dass die Nomadenvölker zur Zeit des Hellenismus im 3. Jahrhundert v. u. Z. Expeditionen führend begleiteten und für diese Expeditionen sogar Kamele züchteten und anboten.“
Wissen aus der Wüste schöpfen
Das Team von Desert Networks verbrachte die ersten beiden Projektjahre zunächst damit, Daten zusammenzutragen und eine Reihe von Werkzeugen zu entwickeln. Dazu zählt eine gemeinsame Datenbank mit einem geografischen Informationssystem(öffnet in neuem Fenster), die inzwischen online(öffnet in neuem Fenster) zugänglich ist. Sie umfasst alle verfügbaren Daten zu mehr als 280 bekannten archäologischen Stätten, einschließlich der Historiografie, der Standorte und der Überreste, Artefakte und Ökofakten, die dort gefunden wurden. Darüber hinaus lagen zahlreiche gut erhaltene Texte vor. In den vergangenen drei Jahren hat sich das Team der Verarbeitung dieser Daten gewidmet. Sie rekonstruierten anhand eines numerischen Modells die physischen Netzwerke der Wüste, um die Kamelrouten nachzuvollziehen. Durch Schwerpunktlegung auf die Verbreitung bestimmter Artefakte, wie beispielsweise Amphoren, gelang es ihnen zudem, wirtschaftliche Netzwerke zu rekonstruieren. So konnten sie nicht nur lokale Netze aufdecken, sondern auch offenbaren, wie diese mit anderen Regionen auf der Welt, wie Indien und dem Mittelmeerraum, verknüpft waren. Zuletzt analysierten sie die sozialen Netzwerke der Menschen, die zu jener Zeit durch die Wüste reisten.
Eine Welt geheimer Wasserquellen
Bedeutend war unter anderem die Erkenntnis, dass die Wüste nicht nur weit weniger unwirtlich war als oft angenommen, sondern sogar zahlreiche Wasserquellen bot, die den Menschen dort durch empirisches Wissen aus langer Wüstenerfahrung zugänglich waren und so ihr Überleben sicherten. „Die Wasserfrage ist ein zentraler Aspekt und unsere Arbeit hat gezeigt, dass es sehr wohl Wasser in der Ostwüste gibt, solange man weiß, wo man suchen muss“, fügt Redon hinzu. „Auch hier muss der nomadische Faktor betont werden, da die Nomadengruppen die Wasserstellen kannten und den Expeditionen bei der Wassersuche helfen konnten.“ Das Team belegte zudem, dass Bergleute oder Soldaten, die in kleinen Festungen an den Wüstenstraßen stationiert waren, durch den Bau von Wasserspeichern eine gut funktionierende Wüstenlandwirtschaft schufen, um Gemüse anzubauen und vielleicht sogar Fische zu züchten. „Wir fanden sogar Bäder in der Wüste – ein Beweis dafür, dass es ein reiches Wasservorkommen gab und auch die Hygiene nicht zu kurz kam!“, sagt Redon.