CORDIS - Forschungsergebnisse der EU
CORDIS

Petrifying Wealth. The Southern European Shift to Masonry as Collective Investment in Identity, c.1050-1300

Article Category

Article available in the following languages:

Geld und Konflikte: Oder steckte mehr hinter dem Baurausch des 11. und 12. Jahrhunderts?

Klöster, Burgen, Schlösser: Was bildete den Auslöser für die dramatische Belebung des Bauens mit Steinen im 11. und 12. Jahrhundert?

Gesellschaft icon Gesellschaft

Zum ersten Mal seit dem Römischen Reich tauchte im 11. und 12. Jahrhundert überall das Maurer- und Steinmetzhandwerk auf: in Burgen, Pfarr- und Klosterkirchen sowie in Form einer Vielzahl von Türmen, Palästen und Häusern innerhalb der Burgen und Städte. Auch die Architekturgeschichte hat sich stets an den großen Kathedralen Mittel- und Nordeuropas orientiert, zunächst an der Romanik, dann an der Gotik. In den letzten 20 bis 30 Jahren hat die Geschichtswissenschaft jedoch damit begonnen, andere europäische Regionen, insbesondere den Mittelmeerraum, genauer zu untersuchen. Aber was kann uns die Architektur außerhalb des traditionell als „karolingisches Kernland“ betrachteten heutigen Frankreichs und Deutschlands zeigen? „Bis jetzt“, sagt Ana Rodriguez, Leiterin des Projekts PETRIFYING WEALTH, „haben die Geschichtswissenschaften das Ausmaß und die Bedeutung eines epochalen Wandels übersehen, der die Beziehung zwischen Menschen und Gebäuden im 11. und 12. Jahrhundert revolutionierte.“ Das Ziel des Projekts bestand darin, die plötzliche Allgegenwärtigkeit steinerner Bauten und ihrer Beziehung zur komplexen gesellschaftlichen Dynamik der damaligen Zeit in Regionen außerhalb des üblichen Untersuchungsgebiets zu verstehen. Der Prozess der Versteinerung fand in den Jahrhunderten statt, die allgemein mit der „mittelalterlichen Expansion“ in Verbindung gebracht werden, was zu der lange Zeit vertretenen Annahme geführt hat, dass es sich um eine Folge des wirtschaftlichen Wachstums handelte; das Ergebnis des größeren Reichtums, der vom lateinischen Westen produziert wurde und nun dort vorhanden war. „Unsere Forschungsarbeiten haben ergeben, dass in den untersuchten Regionen die Bauentscheidungen in erster Linie durch Elemente weitgehend kultureller und sozialer Natur und weniger durch wirtschaftliche Faktoren bestimmt wurden“, erklärt Rodriguez, die beim Spanischen Nationalen Forschungsrat in Madrid tätig ist.

Mauerwerk: Versteinerte Konflikte des Mittelalters?

Rodriguez wollte die Charakteristika und die Chronologie des Bauprozesses in den verschiedenen Regionen klären und die Art eines grundlegenden gesellschaftlichen Wandels verstehen, der die Bauwut auslöste. „Wir wollten herausfinden, warum genau im 12. und 13. Jahrhundert überall in der Landschaft die Gebäude aus dem Boden schossen. Was löste diese dramatische Veränderung des Bauverhaltens aus?“ Sie stellte fest, dass die Konflikte, die die Städte ab der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts prägten, zu einer starken Fragmentierung des städtischen Raums führten, die sich jedoch in Italien, Südfrankreich und Spanien unterschiedlich manifestierte. „Die Familien- und Konsortialtürme, die in vielen italienischen Städten entstanden, erschienen nicht in den Städten Südfrankreichs. Umgekehrt gab es in Italien keine Mauern, die in den französischen Städten und in gewissem Maße auch in Katalonien die von der kirchlichen Macht kontrollierten Räume von denen der Laien trennten. Kurz gesagt: Die Ergebnisse der ‚Versteinerung des Konflikts‘ fielen sehr unterschiedlich aus“, erklärt Rodriguez. Sie argumentiert, dass das Vorhandensein oder Fehlen von Türmen, von gemeindlichen und episkolpalen Vierteln, die durch Mauern voneinander getrennt sind, oder von markanten Gebäuden der säkularen Eliten kein bloßer Zufall ist. „Ob es sie gibt oder nicht, offenbart einen grundlegenden Unterschied zwischen den urbanen Zentren der Regionen und liefert einen wichtigen, bisher ungenutzten Schlüssel zur Bewertung und zum Vergleich ihrer Geschichte.“

Gebäude, nicht nur Folge des Wohlstands

Die Ergebnisse des Teams stützen die Vorstellung, dass die wirtschaftliche Dynamik in Südeuropa später als gewöhnlich angenommen, und zwar in der zweiten Hälfte oder sogar erst in den letzten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts, einen beispiellosen Aufschwung nahm. Die Rolle der bäuerlichen Gemeinschaften scheint in vielen Bereichen größer als erwartet gewesen zu sein. So war zum Beispiel die Fähigkeit der bäuerlichen Gemeinschaften, eine zentrale Rolle beim Bau und der Verwaltung ihrer Kirchen einzunehmen, in Italien und Kastilien stärker ausgeprägt. Im Fall der Eisenmetallurgie im Alpenraum waren es gerade die ländlichen Gemeinden, die eine Revolution sowohl in Bezug auf Technologie als auch Produktivität anführten.

Um die Revolution im Bauen mit Stein zu verstehen, bedarf es eines breiten Spektrums von Disziplinen

„Hierbei handelt es sich um ein komplexes Thema, das bisher nur bruchstückhaft untersucht wurde“, erklärt Rodriguez. „Ich bin besonders stolz auf die Zusammenarbeit zwischen Madrid und Rom und darauf, dass wir Verbindungslinien gefunden und transdisziplinäre Analysen durchgeführt haben, die einen Erkenntnisgewinn darstellen.“ Aus der Notwendigkeit geboren, verschiedene Methoden kombinieren zu müssen, von Dokumentationsstudien über Archäologie bis hin zu Architekturstudien, stellte die Art und Weise, wie ein ganzes Spektrum von Fachkenntnissen kombiniert wurde, nach Ansicht von Rodriguez einen der Höhepunkte des Projekts dar. „Angesichts der geografischen Ausdehnung des Phänomens und der Notwendigkeit, seine Merkmale für so viele verschiedene Gebäudetypen zu ermitteln, war es erforderlich, eine sehr große Datenbank mit Informationen über Tausende Gebäude in vielen Regionen des europäischen Mittelmeerraums zu erstellen. Nur mit Unterstützung des Europäischen Forschungsrats war ein derart großes Vorhaben möglich“, fügt Rodriguez hinzu.

Schlüsselbegriffe

PETRIFYING WEALTH, Bauen mit Stein, Mauerwerk, Steinmetzarbeiten, Mittelalter, Frankreich, Italien, Kastilien, Wirtschaft, Konflikt, Reichtum, Wohlstand, Gebäude

Entdecken Sie Artikel in demselben Anwendungsbereich