Jenseits der Mitte: Wie Landwirtschaft in Grenzertragsgebieten zum Wachstum Europas beigetragen hat
Die Geschichte der kapitalistischen Entwicklung Europas konzentrierte sich traditionell auf die städtischen Regionen, wobei weiter entfernte Gebiete wie Westirland und das innere Skandinavien eher übersehen wurden. Das Team des EU-finanzierten Projekts OutNorth versuchte, dieses Narrativ anhand der Erprobung eines stärker ländlich ausgerichteten Ansatzes in Frage zu stellen. Die Arbeit dieses mit Unterstützung der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen(öffnet in neuem Fenster) durchgeführten Pilotprojekts legt nahe, dass wir möglicherweise den wirtschaftlichen Wandel Europas in der Zeit von 1400 bis 1900 neu überdenken müssen. „OutNorth hat gezeigt, dass es viel über die Fähigkeiten der Tierhaltung, das Umweltwissen und die Resilienz der einfachen Menschen zu lernen gibt, wenn den sogenannten ‚Grenzertragslandschaften‘ mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird“, erklärt Eugene Costello, Projektkoordinator von OutNorth.
Den Schwerpunkt auf die Außengebiete Europas verlagern
Im Rahmen des Projekts wurde ein interdisziplinärer Ansatz erprobt, der darauf abzielt, die Sichtbarkeit der Berglandwirtschaft in der Welt des Kapitalismus zu verstärken. Mithilfe des Einsatzes von Archäologie, historischer Forschung und fortgeschrittenen Instrumenten wie GIS-Kartierung und digitalen Feldaufnahmen hat das Team von OutNorth nachgewiesen, dass es möglich ist, Trends in der Viehhaltung und Landorganisation in der Berglandwirtschaft zu erkennen, die mit umfassenderen wirtschaftlichen Veränderungen zusammenhängen. Darin besteht ein entscheidender erster Schritt, um die Handlungsfähigkeit abgelegener ländlicher Gemeinschaften inmitten eines umfassenden historischen Wandels aufzuzeigen. „Wichtige, aber unterschätzter Faktoren in der ländlichen Erzeugung waren das Alltagswissen über die Landschaft(öffnet in neuem Fenster) und die Fertigkeiten in der Tierhaltung(öffnet in neuem Fenster) der nicht-elitäre ‚kleinbäuerliche‘ Landwirtschaft betreibenden Menschen“, erklärt Costello. „Die Forschung hat außerdem gezeigt, dass die Bäuerinnen und Bauern in den Bergregionen während der Kleinen Eiszeit Anpassungen in der Bodennutzung vornahmen, um das Risiko zu streuen, beispielsweise durch Getreideanbau in kleinem Maßstab(öffnet in neuem Fenster) und Viehzucht.“
Weidewirtschaft in Irland und Schweden
Der Schwerpunkt dieses Pilotprojekts lag auf Uíbh Ráthach, einer Bergregion in Kerry, Südwestirland, wobei Westschweden als vergleichende Fallstudie diente. Ungeachtet aller Unterschiede, denn die größeren jahreszeitlichen Temperaturschwankungen in Schweden erforderten eine weitgehendere Unterbringung und Fütterung des Viehs im Winter, verfügten beide Regionen über eine gemeinsame Tradition der Viehzucht, die in hohem Maße auf die Arbeit von Frauen und jungen Menschen angewiesen war. Überraschenderweise bestand in beiden Regionen zudem eine stärkere Einbindung in die kommerzielle Milcherzeugung als bisher angenommen. Das Team von OutNorth hat dazu beigetragen, die Forschung über ländliche Gesellschaften und Umgebungen im frühneuzeitlichen Europa zu internationalisieren, und somit die Grundlage für zukünftige vertiefte vergleichende Forschungen auf dem gesamten Kontinent geschaffen.
Erkenntnisse dienen modernen Schutzstrategien
Über die historischen Erkenntnisse hinaus hat die Arbeit von OutNorth wertvolle Lehren in Hinsicht auf die Herausforderungen der heutigen Landbewirtschaftung zu bieten. Das innerhalb des Projekts dokumentierte traditionelle Wissen liefert praktische Ideen zur Anpassung und Risikominderung in modernen landwirtschaftlichen Systemen. Gleichzeitig dienen die historischen Aufzeichnungen als eine Warnung vor dem Verlust von Lebensräumen und den Folgen schlechter Landbewirtschaftungspraktiken, die auch heute noch aktuell ist. „Die Handlungsmacht der landwirtschaftlichen Betriebe und der ländlichen Gemeinschaften im Allgemeinen muss bei der Ausarbeitung von Schutzplänen für Lebensräume im Bergland und im Grenzertragsbereich in Europa berücksichtigt werden. Ihre Handlungen haben diese Umgebungen im Lauf der Zeit geformt, und es bedarf dort einer kontinuierlichen Bewirtschaftung durch den Menschen“, fügt Costello hinzu. Angesichts der wachsenden Herausforderungen, denen sich Europa im Zusammenhang mit einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion gegenübersieht, bieten die im Zuge von OutNorth aufgedeckten historischen Erkenntnisse wichtige Anhaltspunkte für die Entwicklung resilienter landwirtschaftlicher Systeme, die zukünftig Produktivität und ökologische Nachhaltigkeit in Einklang bringen.