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Inhalt archiviert am 2024-04-23

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ERC Storys - Mathematik fürs Herz

Mathematik mag dem Nichmathematiker reichlich abstrakt erscheinen - unerreichbar fern von Anwendungen in der realen Welt, aber mathematische Gleichungen können tatsächlich maßgeblich dazu beitragen, die Funktionsweise der Natur zu verstehen und zu simulieren. Professor Alfio Quarteroni von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne, EPFL, Schweiz) leitet das Mathcard-Projekt, in dem es um die Entwicklung mathematischer Modelle des Blutflusses in unserem Herz-Kreislauf-System geht. Anlässlich des Weltherztages erklärt er, wie sein Projekt den Chirurgen unter die Arme greifen und Leben retten kann.

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Auf das Konto der Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehen beeindruckende 50 Prozent der natürlichen Todesfälle in der EU. Chirurgen könnten mit Hilfe von Computermodellen bald besser operieren - etwa bei Bypass-Operationen oder bei der Platzierung von Gefäßprothesen (Stents). "Als Mathematiker verwenden wir Gleichungen, um grundlegende physikalische Phänomene zu verstehen", erklärt Professor Quarteroni. "Mathe ist nichtinvasiv - da muss nicht operiert werden - und so können wir mit Gleichungen den Kreislauf beschreiben, um die menschliche Physiologie besser zu verstehen und zu klären, warum bestimmte Krankheiten auftreten." Ein komplexes Problem "Die erste Schwierigkeit besteht auf der Ebene der reinen Mathematik", erklärt Professor Quarteroni. "Die Gleichungen zur Simulierung des Blutflusses sind kompliziert - man braucht Supercomputer, um sie innerhalb einer vernünftigen Zeit lösen zu können." Die zweite Schwierigkeit ist die Modellierung der räumlichen Strukturen und Geometrien des menschlichen Körpers, sowohl des gesunden als auch des kranken. Das Projekt arbeitet eng mit Chirurgen und Pathologen zusammen. Es werden Daten verwendet, die in Magnetresonanz- und Computertomographieaufnahmen etc. gesammelt wurden. Diese Experten beraten überdies gemeinsam über die Probleme, bei deren Lösung sie Hilfe brauchen. Obgleich die ERC-Finanzierung bedeutet, dass das Projekt Zugriff auf einige der besten Supercomputer in Europa bekommt, besteht die Herausforderung darin, effiziente Algorithmen zu erstellen, mit denen medizinische Situationen ausreichend detailliert simuliert werden können. "Der Blutfluss hat aufgrund der Dilatation und Kontraktion des Herzens sowie der pulsatilen und wirbelartigen Bewegung des Blutes einen starken 3D-Aspekt", erläutert der Professor. Aber 3D-Modelle seien im Einsatz sehr aufwendig. "Es würde auch mit einem Supercomputer eine Woche dauern, einen Herzschlag in der Aorta aufzubereiten", sagt er, was die Anwendung eines 3D-Modells auf das gesamte System ausschließe. "Wir haben einen einzigartigen Ansatz erfunden", setzt er fort, "bei dem wir auf 3D-Modellen für Gefäße aufbauen, bei denen wir alle Details simulieren müssen, und Modelle niedrigerer Ordnung für andere Teile nutzen." Die Multiskalenlösung In der Vergangenheit wurde der Blutkreislauf auf die gleiche Weise wie elektrische Schaltungen als sogenanntes "nulldimensionales" (0D) Modell modelliert, bei dem die Zeitvariation und keine räumlichen Entfernungen simuliert werden. "Wir verwenden dieses Modell immer noch, um die peripheren Arterien des Körpers zu beschreiben", erklärt Professor Quarteroni, "aber dann setzen wir ein 1D-Modell für die Hauptarterien ein, von denen es rund 100 in unserem Körper gibt." Somit setzt das Team auf die räumliche Trennung. Sie können die Hauptblutgefäße wie Röhren behandeln und beschreiben verschiedene Bedingungen an verschiedenen Punkten entlang von diesen. "Letztlich beschreiben wir für die Karotis- oder Koronararterien das 3D-Verhalten des Blutes und nutzen die Modelle niedrigerer Ordnung, um exakte Eingangswerte für die detaillierteren 3D-Modelle zu bereitzustellen," fährt der Professor fort. Mathematik auf Station Zu den Anwendungen zählt die Entwicklung noch besserer wirkstofffreisetzender Gefäßprothesen (Drug-Delivery-Stent), die mit einem Medikament zur Verhinderung von Entzündungen der Blutgefäßwand beschichtet sind. "Wir können die Freisetzung des Wirkstoffs, den Blutfluss rund um den Stent und die Aufnahme des Medikaments durch die Wand modellieren", sagt Professor Quarteroni. "Wenn wir älter werden, verlieren unsere Blutgefäße an Elastizität", erläutert er weiter, "und das beeinflusst die gesamte Durchblutung des Körpers. Wir können untersuchen, wie sich das auf das Blut auswirkt und die Chirurgen bei der Entwicklung besserer Herz-Bypass-Operationen unterstützen." Um diese Ideen weiter voranzubringen und möglichst einige von ihnen auf den Markt zu bringen, erhält Professor Quarteroni nun vom ERC eine Finanzhilfe zum Konzeptnachweis ("Proof of Concept" Grant). "Ich möchte diese Simulationen aus dem mathematischen Labor auf die Stationen bringen und sie auf einer Plattform für den klinischen Einsatz zur Verfügung stellen", sagt der Professor. "Durch die Erstellung einer Simulationsdatenbank werden die Ergebnisse in Minuten anstelle von Wochen abrufbar sein und so können die Ärzte sie als Echtzeitinstrument verwenden." - Quelle: Professor AlfioQuarteroni - Projektkoordinator: Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne, Schweiz - Projekttitel: "Mathematical modelling and simulation of the cardiovascular system" - Projektakronym: Mathcard - Mathcard-Projektwebsite - RP7-Finanzierungsprogramm (ERC-Aufruf): ERC-Finanzhilfe für etablierte Forscher 2008 - EC-Finanzierung: 1,8 Millionen EUR - Projektdauer: fünf Jahre