Soziales Verhalten liegt in den Genen
Sozialverhalten und die Existenz komplexer Gesellschaften sind keine Phänomene, die sich auf die menschliche Rasse beschränken, sondern häufig auch im Tierreich zu finden sind. Insekten liefern wichtige Modellsysteme für das Studium der sozialen Evolution, des Verhaltens und komplexer sozialer Phänotypen. Soziale Interaktionen beeinflussen viele Aspekte des Lebens von Insektenvölkern, sowohl auf Kolonie-Ebene (Nestarchitektur) als auch auf individueller Ebene (Körpergröße und Rang). Die Untersuchung, wie diese Merkmale in der evolutionären Selektion interagieren, wird jedoch durch die derzeit begrenzten Informationen über die genetische Grundlage solcher sozialen Phänotypen erschwert. Auf der Suche nach neuen Erkenntnissen entstand das EU-finanzierte Projekt "Quantitative genetics of caste in social insects" (Genetics OF CASTE), das die Evolutions-Phänotypen sozialer Insekten aus genetischer Sicht erforschen sollte. In einem genetischen Modell für die Klassenverhältnisse unter Ameisen fanden die Projekt-Wissenschaftler erstmals ein künstliches Selektionsmerkmal, das für komplexe Insektengesellschaften von zentraler Bedeutung ist. Das Modell untersucht das Verhältnis, in dem Individuen als reproduktive Königinnen bzw. sterile Arbeiter herangezogen werden. Um Einblicke in die genetischen Grundlagen und Entwicklung komplexer Sozialmerkmale zu erhalten, entwickelten die Forscher eine genetische Evolutionstheorie. Diese Theorie sollte erklären, wie und warum genetische Variation die Klassenverhältnisse bzw. Anerkennung und Zusammenarbeit in der Sippe bzw. Sozialsystemen aufrechterhält, und wie soziale Interaktion die Erhaltung der genetischen Sequenzvariation beeinflusst. Obwohl die Stärke des Genfaktors vom Umfeld beeinflusst werden kann, gründet sich Klassenzugehörigkeit auf die Entwicklung und Weitergabe bestimmter Gene. Die Projektergebnisse von Genetics OF CASTE konnten die Bedeutung des Genfaktors auf Sozialverhalten und Gesellschaftsbildung eindeutig nachweisen. Das Interesse an diesen Ergebnissen reicht weit über die Evolutionsbiologie hinaus und ist potenziell auf andere soziale Organismen anwendbar, auch den Menschen.