Das Epos und die schottische Identität
Ein Epos ist eine literarische, traditionell poetische Form, die heutzutage aber auch Romane und Kinofilme umfasst, in der eher weitschweifend die Abenteuer von Helden dargestellt werden. Das Genre kann nationale Identität definieren und bewahren und kann die sozialen Themen der Zeit reflektieren, zu der die Stücke geschrieben wurden. Das von der EU finanzierte Projekt "The epic in medieval and early modern Scotland" (ELMEMS) erkundete das Genre und seine Verbindungen zur europäischen Literatur. Weitere Fragen beschäftigten sich damit, wie soziale und kulturelle Themen das epische Genre verändert haben, sowie mit deren Einflüssen auf nationale und andere Identitäten. Die Untersuchung verglich außerdem das schottische Epos mit der in Irland geschriebenen englischen Literatur. ELMEMS lief über zwei Jahre bis September 2013. Die Projektforschung ergab fünf wissenschaftliche Artikel. Der interdisziplinäre Ansatz zeigte den Zusammenhang zwischen politischen und sozialen Umständen und Geschlechtervorstellungen sowie Konzepten zu nationaler und Klassenzugehörigkeit. Zwei der frühesten Texte, die man erforschte, weisen ähnliche epische Themen der Darstellung der irischen Invasion auf. Beide Stücke revidieren das klassische epische Thema der Spannung zwischen dem Helden und dem König, und passen reale historische Ereignisse an, um die Zielsetzungen der Texte zu erreichen. Die Übersetzung spielte eine Rolle bei der Bildung der schottischen Identität. Der übersetzte französische Roman "Cleriadus et Meliadice" wurde in Schottland als 'Clariodus' bekannt. Seine Popularität im 16. Jahrhundert ist nur dann zu verstehen, wenn er in Hinsicht auf die Außenpolitik der Stewart-Dynastie interpretiert wird. 'Clariodus' stellt das Ideal eines geeinten Europas im Konflikt mit den Osmanen dar, jene Idee, die James IV. und James VI. vorantrieben. Die Anpassung in die schottische Kultur war komplex und bewahrte dabei kontinentale Themen, die gleichermaßen an den schottischen Stil adaptiert wurden. Ein weiterer Text, "The Historie of Judith" (Die Geschichte der Judith), ist ein frühes Beispiel der Geschlechterpolitik, mit der Frauen unter Kontrolle gebracht werden. Die Titelfigur ist jedoch nicht nur eine zeitgenössische weibliche Karikatur. Vielmehr ist sie eine Heldin, die eine männliche Rolle übernimmt, wenn auch immer noch durch die Werte ihrer Zeit gebunden. Das ELMEMS-Projekt mündete in einem neuen Verständnis der Texte sowie der Ideologien, die bei der Bildung der europäischen Nationen eine Rolle spielten. Untersuchungen dieser Art tragen außerdem dazu bei, das Ziel eines früheren EU-Projekts (HERA) in Bezug auf das Wiederauflebenlassen regionaler Kulturen zu erreichen.