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Inhalt archiviert am 2023-03-02

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Blinder bewältigt Hindernisparcours völlig fehlerfrei

In einem kürzlich durchgeführten Versuch bewältigte ein völlig blinder Patient fehlerfrei einen anspruchsvollen Hindernisparcours, was den Forschern die Gelegenheit zur Beurteilung dessen gab, welche Art von "Sehen" auch ohne funktionierenden visuellen Cortex möglich ist. Die ...

In einem kürzlich durchgeführten Versuch bewältigte ein völlig blinder Patient fehlerfrei einen anspruchsvollen Hindernisparcours, was den Forschern die Gelegenheit zur Beurteilung dessen gab, welche Art von "Sehen" auch ohne funktionierenden visuellen Cortex möglich ist. Die Studie, die im Fachmagazin Current Biology veröffentlicht wurde, wurde zum Teil über das Sechste Rahmenprogramm (RP6) der EU unter dem Themenbereich "Neue und aufkommende Wissenschaften und Technologien" finanziert. Der Patient mit dem Namen TN hatte zwei Schlaganfälle in Folge erlitten und auf diese Weise erhebliche Schädigungen an beiden Gehirnhälften davongetragen, unter anderem auch am visuellen Cortex (dem Gehirnareal, das für die Verarbeitung visueller Informationen verantwortlich ist). Ein Team aus Forschern aus den Niederlanden, der Schweiz, den USA und dem Vereinigten Königreich untersuchten das Verhalten und den Körper von TN mithilfe von Bildgebungsverfahren zur funktionellen und anatomischen Darstellung des Gehirns, wie z.B. Diffusions-Tensor-Bildgebung (DTI), retinotopisches Mapping, computergestützte Perimetrie und psychophysische Untersuchungen. Diese umfangreichen Tests bestätigten, dass der visuelle Cortex von TN seine Funktion vollständig verloren hatte. Für die Forscher war es wichtig, TNs vollständige Blindheit gründlich zu belegen, denn zuvor wurde bei ihm noch "Rindenblindheit" nachgewiesen, als er auf Gesichtsausdrücke anderer sowie auf visuelle Versuche mit "Angstsituationen" reagierte. Sämtliche Tests belegten dann, dass TNs visueller Cortex nicht mehr funktionsfähig sein konnte; auch benutzt er beim Laufen einen Stock, um damit Hindernisse erkennen zu können, und muss von einer anderen Person geführt werden, wenn er um Gebäude herumgehen möchte. Als nächstes errichteten die Forscher einen Hindernisparcours in einem langen Gang und verwendeten dafür Kisten und Stühle. TN sollte diesen Gang ohne seinen Blindenstock und ohne Hilfe durch andere Personen entlanggehen. Im Gang war es still, weder TN noch eine zu seiner Sicherheit hinter ihm laufende Person machten Geräusche; nur ihre Schritte waren zu hören. Es ist unglaublich, aber TN lief völlig fehlerfrei durch den Parcours, ohne auch nur einmal an ein Hindernis zu stoßen. Als er das Ende des Ganges erreichte, applaudierten einige Zeugen ganz spontan. Der Fall von TN bietet Forschern, die nach alternativen visuellen Bahnen im Gehirn suchen, neue Inspiration, und zeigt auf, wie sich Menschen orientieren und um Hindernisse herumgehen können, ohne sie bewusst zu erkennen oder sie schon einmal gesehen zu haben. Dr. Beatrice de Gelder von der Universität Tilburg in den Niederlanden meint hierzu: "Es ist ein Teil unseres Sehvermögens, der für das Orientieren und Handeln in unserer Umgebung verantwortlich ist und nicht für das Verständnis. Ständig nutzen wir verborgene Ressourcen unseres Gehirns und tun Dinge, die wir uns eigentlich nicht zutrauen würden." Die Möglichkeit, dass TN den Parcours mit Hilfe der Echoortung (der Rückstrahlung von Schallwellen durch nahegelegene Objekte) bewältigt hat, kann nicht ausgeschlossen werden. Da bei dem Versuch jedoch völlige Stille herrschte, ist diese Erklärung sehr unwahrscheinlich. Es ist nicht geklärt, welcher der vielen möglichen Gehirnbahnen TN sein intaktes Orientierungsvermögen zu verdanken hat. Da es keine ähnlichen Fälle gibt, ist es schwierig, Vermutungen darüber anzustellen. Die einzige frühere Studie wurde an einem Affenweibchen (Helen) durchgeführt, bei dem ähnliche erstaunliche Fähigkeiten nachgewiesen werden konnten. Die Forscher kamen damals zu dem Schluss, dass ein kleines Areal seines peripheren Sehens noch intakt war, auch wenn damit nicht alle seiner verbliebenen Sehfunktionen erklärt werden konnten. "Dies ist tatsächlich die erste Studie zu dieser Fähigkeit beim Menschen", stellt Dr. de Gelder fest. "Wir sehen, was Menschen tun können, auch ohne visuelles Bewusstsein oder irgendein beabsichtigtes Ausweichen von Hindernissen. Damit wird deutlich, wie wichtig diese evolutionär alten visuellen Bahnen sind. Sie leisten einen größeren Beitrag für unser Funktionieren in der realen Welt als wir denken."

Länder

Schweiz, Italien, Niederlande, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten

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