Intelligente künstliche Muskeln zur Behandlung von Venenerkrankungen
Eine mangelhafte Durchblutung ist die Ursache für Venenerkrankungen wie Ödeme, Krampfadern, Lymphödeme und zahlreiche Sportverletzungen. Sie sind schmerzhaft und beeinträchtigen die Lebensqualität der Betroffenen. Kompressionsstrümpfe, die einen konstanten Druck auf die unteren Gliedmaßen ausüben, gelten bei der Behandlung von venösen Krankheiten als Goldstandard. Sie lassen sich jedoch nicht leicht anlegen, sind dazu unbequem und haben eine begrenzte Wirksamkeit, was eine niedrige Akzeptanz mit sich bringt. Eine weitaus kostspieligere Alternative sind pneumatische Kompressionsgeräte. Dabei kommt eine aufblasbare Manschette zum Einsatz, die um das Bein gelegt wird und es unter Nachahmung rhythmischer Wadenmuskelkontraktionen massiert. Die heutige Kompressionsbekleidung ist umständlich in der Handhabung und mit lauten Kompressoren und schweren Luftpumpen ausgestattet. Für die Trägerin oder den Träger ist dies mit einer Einschränkung der Mobilität und körperlichen Unannehmlichkeiten verbunden.
Neue Materialien ahmen die Muskelkontraktion nach
Zur Behebung dieser Defizite entstand im Rahmen des EU-finanzierten Projekts ComFyt ein einzigartiges Produkt, das eine wirksame Kompressionstherapie bei vollständiger Mobilität, hohem Tragekomfort und verbesserter Benutzerfreundlichkeit bietet. „Unser Gerät stützt sich auf eine unternehmenseigene Technologie. Wir wählten innovative Materialien, mit denen die Beine kontinuierlich den ganzen Tag über massiert werden, um den Blutkreislauf zu stimulieren“, erklärt Omer Zelka, Gründer und Geschäftsführer von ELASTIMED, dem Unternehmen, das hinter der Entwicklung von ComFyt steht. Die beteiligten Partner verwendeten elektroaktive Polymere (EAP), auch künstliche Muskeln genannt. Bei Stimulierung durch ein elektrisches Feld können sich diese Materialien in Bezug auf Form und Größe verändern. Es wurde ein skalierbares Verfahren erarbeitet, das die Herstellung dünner EAP-Komponenten für zahlreiche medizinische Geräte ermöglicht. Bei ComFyt werden diese künstlichen Muskelbänder in ein aktives Kompressionsgerät integriert, das um das Bein gewickelt wird und den Kontraktionsrhythmus der Wadenmuskulatur nachahmt, um die Durchblutung des Beines zu fördern. Die gesteuerten, aktiven sequenziellen Kontraktionen stellen eine höchst effektive medizinische Behandlung dar. Dies belegte eine klinische Studie, die an elf gesunden Personen durchgeführt wurde. Das Gerät von ComFyt zeigte einen durchschnittlichen Anstieg der Spitzenflussgeschwindigkeit in der Vena poplitea um 141 % nach 30 Minuten Anwendungszeit. Das Gerät der zweiten Generation bietet einen um das Doppelte gesteigerten Druckbereich sowie eine Verringerung der Dicke und des Gewichts.
Vorteile und Zukunftsaussichten
Die ComFyt-Lösung erzielte vergleichbare Ergebnisse wie Geräte zur standardmäßigen pneumatischen Kompression. Deren unhandliches Design und laute Kompressoren mindern jedoch die Mobilität und den Tragekomfort der Patientinnen und Patienten. Der EAP-Aktor von ComFyt hingegen ist klein, flexibel und sparsam im Energieverbrauch. Mit anderen Worten: Die Technologie ist ideal für künftige Anwendungen im medizinischen und nichtmedizinischen Bereich. Vor allem aber ergaben Befragungen zur Nutzungserfahrung während der klinische Studie, dass die ComFyt-Lösung verglichen mit pneumatischen Kompressionsgeräten ein weitaus höheres Komfortniveau bietet. Millionen Menschen weltweit leiden aufgrund von Durchblutungsproblemen unter Schmerzen und Schwellungen an den Beinen. In extremen Fällen können chronische Durchblutungsstörungen sogar zu einer tiefen Venenthrombose führen. Die einzigartigen Funktionen von ComFyt sowie das schlanke, batteriebetriebene, benutzungsfreundliche und komfortable Design sollen die Lebensqualität von Menschen mit Venenleiden und Erkrankungen des Lymphsystems verbessern. Zudem lassen sich die innovativen künstlichen Muskeln künftig auch zu weiteren Anwendungszwecken einsetzen, etwa in Kompressionsgeräten für verschiedene Körperteile. „Dieses Projekt war mit einem hohen Potenzial, aber auch einem hohen Risiko verbunden, und der Zuschuss über Horizont 2020 half uns dabei, die technischen Unwägbarkeiten von ComFyt zu überwinden“, betont Zelka. Das Unternehmen hat bereits damit begonnen, weitere Finanzierungsmittel zu gewinnen, um eine klinische Studie mit Betroffenen durchzuführen, die behördliche Zulassung zu beantragen und ComFyt zu Beginn des Jahres 2022 kommerziell zu vertreiben.
Schlüsselbegriffe
ComFyt, künstliche Muskeln, Beine, Venenerkrankungen, Blutkreislauf, Durchblutung, chronisch-venöse Insuffizienz, Kompressionstherapie, untere Gliedmaßen, elektroaktive Polymere