Befragung potenzieller Migrierter nach einem Ort, den sie ihr Zuhause nennen würden
Bereits seit der Antike ist Europa ein Knotenpunkt der menschlichen Mobilität. Nach der massiven Abwanderung im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist Europa heute eine Region mit Nettozuwanderung. Die heutige Einwanderungsdiskussion wird in der Regel aus der Perspektive des Aufnahmelandes geführt. Meinungsumfragen befassen sich mit der Einstellung der europäischen Bevölkerung hinsichtlich des Themas Migration. Es ist nur selten der Ort, an dem der Traum eines besseren Lebens beginnt. Im Rahmen des EU-finanzierten Projekts MIRROR(öffnet in neuem Fenster) wurden Menschen aus Ländern außerhalb der EU, darunter Afghanistan, Iran, Irak, Syrien, Sudan und Nigeria, dazu befragt, wie sie Europa als Migrationsziel wahrnehmen. Konkret entwickelte MIRROR eine integrierte Plattform sowie eine systematische Methodik für die umfassende medienübergreifende Analyse der Wahrnehmung von Europa. Ziel war es, Diskrepanzen zwischen Bild und Wirklichkeit aufzudecken, Fälle von Medienmanipulation zu erkennen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was falsche Vorstellungen und daraus resultierende Gefahren anrichten können.
Unrealistische Erwartungen
Mit 14 interdisziplinären Partnern aus 7 Ländern hat sich MIRROR auf den Weg gemacht, um ein fundiertes Bild der Wahrnehmung Europas zu erstellen. Die Forschenden befragten sowohl Migrierte und Flüchtlinge als auch Fachleute aus dem Bereich der Migration, um die Entscheidungsfindung im Bereich der Migration und den Prozess der Wahrnehmungsbildung besser zu verstehen. „Als Ergebnis der Feldarbeit lässt sich festhalten, dass unrealistische Erwartungen vielerlei Auswirkungen auf Migrierte und Flüchtlinge haben“, sagt Projektkoordinatorin Claudia Niederee, die Forschungsgruppenleiterin am Forschungszentrum L3S in Hannover ist. „Die wahrgenommene Situation und die Realität gehen weit auseinander. Dies kann dazu führen, dass sich viele Migrierte zurückziehen“, erklärte sie. „Während der langen Wartezeiten der Asylverfahren haben viele Antragstellende das Gefühl, auf sich allein gestellt zu sein. Hinzu kommen Gefühle der Unsicherheit, des Informationsmangels und des ‚Gefangenseins im System‘, die sich oft als große psychische Belastung erweisen.“ Ein weiterer Aspekt der Fehlwahrnehmung hängt mit der Wahrnehmung der Migrationsreise selbst zusammen. „Die Betroffenen berichten von einem sogenannten ‚Steckenbleiben‘ im Migrationsprozess, bei dem weder die Weiterreise noch die Rückreise möglich ist“, erläutert Niederee. Dies war zu erwarten. Überraschend war jedoch die Entdeckung, dass der Migrationsprozess und die Migrationsentscheidungen äußerst dynamisch sind und von vielen Faktoren abhängen, wie etwa den persönlichen Erfahrungen, die auf dem Weg gemacht wurden.
Die Macht der mobilen Geräte
„Von großer Bedeutung für politisch Verantwortliche ist das vertiefte Verständnis der Rolle mobiler Geräte im Migrationsprozess und bei der Entstehung von Wahrnehmungen Europas bei den Migrierten und Flüchtlingen“, betonte Niederee. „Die Feldergebnisse zeigen deutlich, dass mobile Geräte im Migrationsprozess eine wesentliche Rolle spielen, (Fehl-)Wahrnehmungen von Europa oft erst unterwegs entstehen und es tatsächlich geschlechtsspezifische Unterschiede gibt, beispielsweise bei der migrationsbezogenen Informationssuche und der Wahrnehmung der EU.“ Eine weitere Erkenntnis aus der Praxis ist, dass die Migrationsgemeinschaften für die Bildung von Wahrnehmungen und Meinungen eine wichtige Rolle spielen. „Um sie zu erreichen, sollte die Kommunikation zusätzlich zu den formellen Kanälen wie Fernsehen, Radio und Zeitungen auf diese Gemeinschaftsebene – die so genannte ‚Mesoebene‘ – ausgerichtet sein“, fügte Niederee hinzu. MIRROR hat einen Werkzeugkasten(öffnet in neuem Fenster) mit Methoden, bewährten Praktiken und Erkenntnissen erstellt, die den Interessengruppen in Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Grenzschutz handlungsrelevant helfen sollen. Das MIRROR-System enthält eine integrierte Plattform, einen Werkzeugkasten und eine systematische Methodik für die umfassende intermediale Analyse und wurde mit einem nutzungszentrierten Ansatz entwickelt. So wurde beispielsweise das Konzept der Situationen in das System aufgenommen, um es der nutzenden Person zu ermöglichen, sich entwickelnde Situationen zu beobachten. Der endgültige Prototyp wurde in einer intensiven Pilotierungsphase validiert. „Das Feedback, das wir während der Validierung erhalten haben, war sehr positiv“, bestätigte Niederee. „Dieser Prototyp wird für Versuche und Live-Demonstrationen durch kommerzielle Projektpartner aufrechterhalten, um das System weiter aktiv zu nutzen.“