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Rural Riches. The bottom-up development of Post-Roman Northwestern Europe (450-640)

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Die Bildung Europas nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches

Ein EU-finanziertes Projekt zeigt, dass die Landbevölkerung bei der Herausbildung Europas ebenso wichtig war wie Könige, Adelige, Bischöfe und Heilige.

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Seit mehr als einem Jahrhundert wird in der akademischen Gemeinschaft über die Frage debattiert, wie Europa aus dem Zusammenbruch des römischen Staates im Westen hervorgegangen ist. Ein gängiges Modell, das zur Beantwortung dieser Frage herangezogen wird, besagt, dass Europa eine von oben nach unten organisierte Gesellschaft war, in der die nachrömische wirtschaftliche Entwicklung auf die Initiativen und Forderungen der Elite beruhte. In diesem Modell wurde jedoch die Rolle der ländlichen Bevölkerung nicht angemessen berücksichtigt. Hier setzt das EU-finanzierte Projekt Rural Riches an. „Wir haben dieses Modell grundlegend in Frage gestellt, da es einseitig ist. Unser Ziel war es, die Bedeutung der Landbevölkerung als Verbraucherschaft mit Zugang zu globalen Handelsnetzen für die nachrömische Wirtschaftsentwicklung in Nordwesteuropa zu analysieren“, erklärt Frans Theuws, der Projektkoordinator. Zu diesem Zweck wurde im Rahmen des Projekts ein alternatives Modell angewandt, eine von unten nach oben organisierte Gesellschaft, in der die Handlungsfähigkeit der untergeordneten Gruppen (Landbevölkerung, Handwerkstätige) von entscheidender Bedeutung ist. Rural Riches konzentrierte sich auf den Norden Galliens.

Ein anderer Blick auf das frühmittelalterliche Europa

„Wir hoffen, mit dem Projekt zu nichts weniger als einem Paradigmenwechsel in der Frühmittelalterforschung beizutragen“, beschreibt Theuws. In diesem Sinne hat das Projekt ein weiteres Modell der sozialen Organisation in die wissenschaftliche Debatte eingebracht. Es ist weder hierarchisch noch egalitär, sondern erklärt die relativ flache soziale Differenzierung: Heterarchie. „Das Konzept wurde bereits in der anglophonen Archäologie erarbeitet, aber kaum auf den Kontinent angewendet“, fügt Theuws hinzu. Rural Riches zeigte auch, wie viel exotischer Reichtum der Landbevölkerung zur Verfügung stand. „Wir haben die Verfügbarkeit von Edelmetallen in Form von Goldmünzen, Silber- und Goldbroschen, Glasgefäßen und exotischen Perlen aus Indien, Ceylon und dem östlichen Mittelmeerraum inventarisiert und kartiert. Wir haben auch anhand von Texten die Anwesenheit von Herrschaftseliten in Nordgallien und den Aufenthaltsort der Merowingerkönige überprüft“, betont Theuws. Im Projekt wurde außerdem die Entwicklung der Bestattungsriten im sechsten Jahrhundert analysiert, um die wachsende Nachfrage nach Waren aufgrund von Veränderungen in den Riten zu bewerten, die die ländliche Nachfrage sowie die Verfügbarkeit von Perlen aus dem Baltikum (Bernstein), dem Mittelmeerraum und darüber hinaus aus Indien und Ceylon anfachen. „Diese Aspekte werden im Jahr 2023 und in der ersten Hälfte des Jahres 2024 in Form von Dissertationen und Artikeln veröffentlicht. Darüber hinaus trug das Projekt zur Veröffentlichung wichtiger Stätten wie der Flusssiedlung von Oegstgeest, die eng mit einem hochgradig internationalen Austauschsystem verbunden war, und des paläochristlichen Komplex des Heiligen Servatius in Maastricht bei“, berichtet Theuws. Im Rahmen des Projekts wurde außerdem eine Datenbank der frühmittelalterlichen Stätten und ihrer materiellen Kultur in Nordgallien eingerichtet. „Es ist das erste Mal, dass ein solch transnationaler Überblick über das unglaublich reiche Material verfügbar ist. Im kommenden Jahr werden wir diese Datenbank verstärkt online zur Verfügung stellen“, ergänzt Theuws.

International ausgerichtete Forschungsanstrengungen

„Wir hoffen sehr, dass wir der Landbevölkerung des frühmittelalterlichen Europas mehr Aufmerksamkeit verschaffen können“, schließt Theuws. Dieses Projekt ist der Beginn einer noch stärker international ausgerichteten Forschungsarbeit. Die Ausgangspunkte, die Ergebnisse, die Datenbank und die bisherigen Veröffentlichungen haben international so großes Interesse geweckt, dass sich Forschende aus den Niederlanden, der Tschechischen Republik, Belgien, Frankreich, Italien und Schweden zusammengetan haben, um nach Möglichkeiten zu suchen, solche Forschungen auf gesamteuropäischer Ebene durchzuführen.

Schlüsselbegriffe

Rural Riches, Europa, römischer Staat, Landbevölkerung, Handwerker, Handwerkerin, Mediävistik

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