Den molekularen Wegen der ALS-Erkrankung auf der Spur
Die unheilbare neurodegenerative Erkrankung amyotrophe Lateralsklerose (ALS) führt zum Verlust der Motoneuronen(öffnet in neuem Fenster) im Gehirn und Rückenmark, die die willkürlichen Muskeln steuern. Es handelt sich hierbei um die häufigste Motoneuronenerkrankung. „Leider sterben die meisten Erkrankten zwei bis fünf Jahre nach der Diagnose, und es gibt nur wenige zugelassene Arzneimittel, von denen bekannt ist, dass sie einigen der Erkrankten helfen, wobei viele klinische Studien fehlgeschlagen sind“, sagt Edor Kabashi, Koordinator des Projekts ALS-Networks, das vom Europäischen Forschungsrat(öffnet in neuem Fenster) finanziert wurde. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben Forschende mehr als ein Dutzend Gene bestimmt, die bei einigen ALS-Erkrankten pathogene Mutationen aufweisen. Da sie in den meisten Zelltypen vorkommen, ging man davon aus, dass sie nichts mit ALS zu tun haben, aber jetzt stehen sie im Mittelpunkt der Suche nach neuen Therapeutika. ALS-Networks wollte gemeinsame Wege ermitteln, auf denen diese mutierten Gene interagieren könnten, um herauszufinden, wie eine veränderte genetische Expression die Motoneuronen degenerieren könnte. Im Fokus des Projekts standen vier Gene, die bei ALS häufig mutiert sind. „Die Wege, die wir identifiziert haben, scheinen nicht nur in unseren Modellen, sondern auch in anderen Tiermodellen und in induzierten Motoneuronen von ALS-Erkrankten gemeinsam zu sein. Ich bin sicher, dass wir auf dem richtigen Weg zu großen therapeutischen Fortschritten sind“, fügt Kabashi vom französischen Nationalen Institut für Gesundheit und medizinische Forschung(öffnet in neuem Fenster) (Inserm), an dem das Projekt angesiedelt ist, hinzu.
Transgene Zebrafischmodelle
Da Zebrafische dieselben Gene aufweisen, die bei ALS-Erkrankten mutiert und dereguliert sind, eignen sie sich gut als Modellorganismen. Unter Verwendung der CRISPR/Cas9-Verfahren(öffnet in neuem Fenster) wurden im Rahmen des Projekts gezielt bestimmte Regionen des Zebrafischgenoms ausgewählt, um die ALS-Gene zu löschen und/oder Mutationen einzuführen, die bei ALS-Erkrankten gefunden wurden. So entstand eine Reihe von Deletionsmutanten(öffnet in neuem Fenster) der Zebrafische, mit denen die vier in der Studie behandelten ALS-Gene untersucht werden konnten: C9orf72, SQSTM1, TDP-43 und FUS. Wirbeltier-Zebrafischmodelle für C9orf72 halfen bei der Bestimmung eines pathologischen Markers für ALS. „Wir haben herausgefunden, dass die Überexpression von Proteinen, den sogenannten Dipeptid-Repeat-Proteinen, unter bestimmten genetischen Bedingungen motorische Schäden verschlimmert und zu Neurodegeneration führt“, erklärt Kabashi. Durch die Kombination aus Verfahren wie der Reinigung und der Omik-Analyse von Motoneuronen aus diesen Modellen wurden zwei gemeinsame Wege festgestellt, die zum Rückgang der Motoneuronen beitragen. Erstens ist der Mitochondrien-Stoffwechsel – der Schlüssel zur Aufrechterhaltung der Zellenergie – beeinträchtigt. Zweitens ist die Autophagie, die zelluläre Beseitigung alter oder beschädigter Bestandteile, gestört. Das Team entwickelte außerdem ein Zebrafischmodell mit einem deaktivierten FUS-Gen, das im Vergleich zu den Kontrollen eine verminderte Schwimmfähigkeit und eine erhöhte Sterblichkeit aufwies. In Zusammenarbeit mit internationalen Konsortien erforschte das Team, wie es genetische Wechselwirkungen die krankheitsverursachenden genetischen Varianten – und damit die Risikofaktoren – beeinflussen könnte, und entwickelte Zebrafischmodelle für zwei weitere ALS-Gene, GPX3(öffnet in neuem Fenster) und NUP50(öffnet in neuem Fenster). „Wir freuen uns sehr darauf, diese Varianten weiter zu analysieren, da sie an zwei wichtigen ALS-Pathogenmechanismen beteiligt zu sein scheinen: oxidativer Stress und nukleozytoplasmatischer Transport“, erläutert Kabashi. Ein Modell wurde ebenso für TBK1 erstellt, ein weiteres Gen, das das Team kürzlich bei ALS-Erkrankten erfasst hat (eine Veröffentlichung ist in Vorbereitung). Die Inaktivierung dieses Gens führt zur Degeneration der Motoneuronen und zur Aktivierung des Zelltods.
Gemeinsame Pfade
Die Forschenden suchen weiterhin nach häufig deregulierten Motoneuronen als Ziele für Therapien, um das Leiden der ALS-Erkrankten zu verringern und ihre Lebensqualität zu erhöhen. „Für beide häufig mutierten Gene, C9orf72 und FUS, haben wir bereits Wirkstoffe ausgemacht, die die Degeneration von Motoneuronen und Muskeln verringern können“, fügt Kabashi hinzu. Kabashi freut sich darauf, spezifische Marker zu definieren, die in Zebrafischmodellen verändert sind. Ebenso wird die Fluoreszenzsortierung von Zellen, von denen bekannt ist, dass sie bei ALS betroffen sind, dazu beitragen, zellspezifische Veränderungen weiter zu definieren. „Die Erkennung dieser Marker könnte letztlich die Gentherapie bei ALS voranbringen, die auch bei der spinalen Muskelatrophie gut funktioniert, einer neurologischen Entwicklungsstörung, die ebenfalls die Motoneuronen und Muskeln angreift“, so Kabashi abschließend.
Schlüsselbegriffe
ALS-Networks, ALS, Motoneuron, Gehirn, Rückenmark, Muskeln, Gen, Zebrafisch, Zelle, mutiert, Therapeutika, Mitochondrien-Stoffwechsel, Autophagie