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Matching CNS Lineage Maps with Molecular Brain Tumor Portraits for Translational Exploitation

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Die „Ursprungszelle“ von Hirntumoren scheint vor der Geburt zu entstehen

Das EU-finanzierte Projekt BRAIN-MATCH hat die Entwicklung von Tumoren detailliert aufgezeichnet. Dabei wurden neue Beweise für die Hypothese gefunden, dass Hirntumoren während der embryonalen Entwicklung entstehen. Diese Erkenntnis eröffnet neue Behandlungs- und Diagnosemöglichkeiten.

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Im Vergleich zu anderen Krebsarten sind Hirntumoren nach wie vor schwer zu behandeln. Durch die Blut-Hirn-Schranke gelangen viele Therapeutika nicht in das Gehirn, und da es sich um ein immunologisch privilegiertes Organ handelt, ist es besonders schwierig, die eigenen Abwehrkräfte des Immunsystems in diesem Bereich zu nutzen. Darüber hinaus ist das Gehirn anfällig für Langzeitschäden und lebensbedrohliche Komplikationen, sodass Studien und Behandlungen sehr vorsichtig durchgeführt werden müssen. „Hirntumoren sind auch extrem vielfältig: Es gibt um die 200 verschiedene Arten, die somit alle sehr selten sind“, sagt Stefan Pfister, Projektkoordinator von BRAIN-MATCH, das über den Europäischen Forschungsrat finanziert wird. „Die Tatsache, dass die Ursprungszelle oft unbekannt ist, erschwert die Entwicklung spezifischer Behandlungen zusätzlich.“ Um die Ursprungszellen von Hirntumoren zu identifizieren, hat BRAIN-MATCH Atlanten zusammengestellt, um die normale Gehirnentwicklung in Embryonen und Kindern mit den molekularen Profilen verschiedener Arten von Hirntumoren bei Kindern zu vergleichen, die aus Datensätzen mit mehr als 100 solcher Tumoren stammen. „So konnten wir mehr über die zeitliche Abfolge und die Mechanismen erfahren, mit denen sich der Tumor in normale Prozesse einklinkt und so verhindert, dass er vom Körper als ‚fremd‘ und damit als Bedrohung erkannt wird“, erklärt Pfister vom Deutschen Krebsforschungszentrum, der Trägerinstitution des Projekts. Pfister arbeitet auch mit dem Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg und dem Universitätsklinikum Heidelberg zusammen.

Aufzeichnen der Entstehung

Die Idee für BRAIN-MATCH beruht auf der schon lange bekannten – aber noch immer unbewiesenen – Hypothese, dass Hirntumoren in Kindern bei der embryonalen Entwicklung entstehen, eventuell sogar in der frühen Schwangerschaft. Da der zelluläre Ursprung der meisten Hirntumoren nach wie vor unbekannt ist, sind sie schwer zu modellieren. Auch ist es schwierig, gezielte Behandlungen zu konzipieren, da zwischen den embryonalen Eigenschaften der Tumorzellen und normalen differenziertem Hirngewebe unterschieden werden muss. Das BRAIN-MATCH-Team verwendete Einzelzell-Transkriptom und ATAC-seq, um gefrorene Hirngewebeproben zu analysieren, beginnend im Embryonalstadium. Aus dieser Arbeit gingen große Atlanten der normalen Hirnentwicklung und der Tumorentwicklung hervor, insbesondere im Kleinhirn und Hirnstamm, in Einzelzellauflösung und mit Charakterisierung mehrerer Hunderttausend Zellen. Ergänzt wurde dies durch räumliche Transkriptomanalysen, eine molekulare Profilierungsmethode, mit der Gewebe auf zellulärer Ebene rekonstruiert werden können. „Wir waren überrascht, wie wenig über einige Zelltypen im sich normal entwickelnden menschlichen Gehirn bekannt ist, insbesondere im Kleinhirn und im Hirnstamm, in denen die meisten Hirntumoren bei Kindern entstehen“, sagt Pfister. Die Analyse der zellulären Zusammensetzung und die Differenzierung von normalem und Tumorgewebe ergab Gemeinsamkeiten und Unterschiede. So konnte schließlich der zelluläre Ursprung verschiedener Tumorarten bestimmt werden. „Eine wichtige Erkenntnis war, dass viele Tumoren eine weitreichende Differenzierung aufweisen, von sehr primitiven Vorläuferzellen bis hin zu differenzierten Zellen. Diese Entwicklung gleicht der normaler Zellen“, erklärt Pfister. „Dies deutet darauf hin, dass Krebszellen die Eigenschaften normaler Zellen während der Embryonalzeit und nicht erst nach der Geburt übernehmen.“ Er fügt hinzu, dass durch die Ergebnisse attraktive Ziele für gewebespezifische und zeitlich begrenzte Behandlungen aufgekommen sind, mit denen die Nebenwirkungen minimiert werden könnten. Mit diesen Eigenschaften könnten auch Tumorzellen oder Nukleinsäuren in der Rückenmarksflüssigkeit oder im Blut zuverlässig nachgewiesen werden, sodass Diagnose ohne operative Eingriffe oder Biopsien möglich sind. Zudem könnte gemessen werden, wie einzelne Betroffene auf Behandlungen ansprechen.

Eine ergiebige Ressource für Therapeutika

Derzeit gibt es für die Industrie kaum finanzielle Anreize, spezifische Therapeutika für seltene Krankheiten wie Hirntumore bei Kindern zu entwickeln. Darüber hinaus sind die meisten Medikamente, die für diese Tumorarten eingesetzt werden könnten, so synthetisiert, dass sie nicht in das Gehirn eindringen. „Für neue Therapeutika sind wahrscheinlich neue Finanzierungsvereinbarungen erforderlich, aber unsere Daten sind eine ergiebige Ressource, um therapeutische Ziele für diese seltenen Krankheiten zu identifizieren und zu priorisieren. Unser Datensatz über die normale Entwicklung des menschlichen Gehirns ist auch für andere Forschungsbereiche relevant, etwa für die kognitive Gesundheit, Hirnverletzungen und Neurodegeneration“, schließt Pfister. Nach den entsprechenden Veröffentlichungen werden die Hirnatlanten des Projekts der Forschung zur Verfügung gestellt, ein weiterer Atlas zum Hirnstamm wird derzeit zusammengestellt. In der Zwischenzeit wurde bereits eine Arbeit über Atlanten zu Mäusen auf „Science“ veröffentlicht, eine weitere über das menschliche Kleinhirn steht noch aus. Einige der Ergebnisse wurden kürzlich auch in im Fachmagazin „Neuro-Oncology“ veröffentlicht. Das Team konzentriert sich nun darauf, die Gewebespezifität der erkannten Ziele und ihre Rolle bei der Abtötung von Tumorzellen funktionell zu validieren. Außerdem werden verschiedene Tumorarten modelliert, um ihre Resistenzmechanismen während ihrer Entwicklung zu verstehen.

Schlüsselbegriffe

BRAIN-MATCH, Einzelzell-Transkriptom, ATAC-seq, Krebs, Tumor, Kinder, Embryo, Gehirn

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