Zellgleichgewicht lebensnotwendig für Darmfunktionen: Aber wie wird es erreicht?
Der Darm übernimmt bei der Verdauung von Nährstoffen eine wichtige Funktion und schützt den Körper vor Krankheitserregern, indem er ständig beeinträchtigte bzw. beschädigte Zellen ausscheidet und durch neue Zellen ersetzt. „Der Darm ist eines unserer Körpergewebe mit dem höchsten Zellumsatz. Die Zahlen sind faszinierend: Etwa eine Milliarde Zellen täglich werden in das Darmlumen ausgestoßen, und es entstehen neue Zellen“, erklärt Daniel Krueger, Forscher am Hubrecht Institute(öffnet in neuem Fenster) für Entwicklungsbiologie und Stammzellforschung an der Königlich Niederländischen Akademie der Künste und Wissenschaften in Utrecht. Aber es sei wichtig, das Gleichgewicht zu halten, sagt Krueger. „Bei zu viel Abbau schrumpft das Darmgewebe. Das ist bei entzündlichen Darmerkrankungen oder Morbus Crohn und in gewissem Maße auch bei Zöliakie der Fall, wobei die Menschen die Nahrung nicht richtig verdauen und die Nährstoffe nicht aufnehmen können.“ „Wenn jedoch nicht alle Zellen abgestoßen werden oder wenn sie in die falsche Richtung ausgestoßen werden, kann dies zu einer Überwucherung des Gewebes führen, die ein Kennzeichen von Krebs ist“, fügt er hinzu.
Erkundung mittels Organoidtechnologie
Mit Unterstützung der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen(öffnet in neuem Fenster) wurde im Rahmen des Projekts MCExtrusion Organoidtechnologie(öffnet in neuem Fenster), d. h. Miniorgane, die im Labor gezüchtet werden und das System in vivo darstellen können, genutzt, um zu erforschen, wie der Abstoßungsprozess reguliert wird. „Über die Untersuchung der Gene in abgestoßenen Zellen mithilfe der Transkriptomanalyse haben wir Hinweise auf die Signalwege erhalten, die die Zellabstoßung steuern“, sagt Krueger. Wie er erläutert, wurde ein neues Testsystem entwickelt, um diesen Prozess zu quantifizieren. Dann wurden verschiedene Wirkstoffe eingeführt, um die spezifische Reaktion zu untersuchen. „Ich habe herausgefunden, dass es ein Gleichgewicht zwischen diesen antagonistischen Signalwegen gibt und eine Verschiebung dieses Gleichgewichts einige der Symptome erklären kann, die wir bei Magen-Darm-Erkrankungen beobachten“, erklärt Krueger.
Auch lebende Zellen werden ausgestoßen
Auch die Erkenntnis, dass die meisten Zellen, die das Epithel (die Gewebeschicht) verlassen, nicht tot sind, sondern als lebende Zellen abgestoßen werden, sei überraschend gewesen, merkt er an. Bisher sei man davon ausgegangen, dass Zellen absterben und abgestoßen werden, weil sie beschädigt sind. „Nach diesen Ergebnissen zu urteilen, könnte es sich um einen Abwehrmechanismus unseres Körpers handeln, um Zellen in einer Art orchestrierter, ausgewogener Form auszustoßen, bevor sie gefährdet werden“, meint er. „Darmzellen sind einer sehr feindlichen Umgebung ausgesetzt und gleichzeitig extrem stoffwechselaktiv, sodass sie viele Schäden ansammeln, und bevor diese Schäden überhandnehmen, werden die Zellen ausgestoßen. Das ist wichtig, denn schwache, geschädigte Zellen würden die Intaktheit des Intestinums gefährden und es den (schädlichen) Bakterien im Darm aussetzen.“
Biophysikalische Eigenschaften im Zusammenhang mit dem Abstoßungsprozess
Projektintern wurde außerdem die Mechanik des Abstoßungsprozesses betrachtet und entdeckt, dass Darmzellen physisch aneinander ziehen, was ebenfalls das Abstoßen steuert. „Mithilfe von Fluoreszenzmarkierung unter Einsatz der Genomeditierungstechnologie CRISPR können wir einen kleinen molekularen ‚Motor‘ sehen, der die Zellen zueinanderzieht und sowohl als Sensor als auch als Ausführender des Abstoßens fungiert“, erklärt Krueger. Dann wurden mittels Laserablation Teile des die Zellen zusammenhaltenden Zellproteins mit dem hochkonzentrierten Laserlicht aufgeschnitten. „Wir haben festgestellt, dass diese lokale Schwäche dazu führt, dass die Zellen abgestoßen werden“, sagt er. Optogenetik(öffnet in neuem Fenster), eine Kombination aus Licht und Gentechnologieverfahren, kann ebenfalls die molekulare Motorik anregen. Die Zellen beginnen zu ziehen, wenn Licht auf sie gerichtet wird, fand Krueger heraus. „Wir können das ausnutzen, um die physikalischen Kräfte zu manipulieren, die die Zellen ausüben“, betont Krueger und fügt hinzu, dass das Verständnis der Rolle der physikalischen Kräfte bei der Erhaltung der Darmstruktur eine Hilfe bei der Entwicklung spezifischer Methoden zum Schutz der Darmzellen oder zu ihrer Stärkung sein könnte. Der nächste Schritt bestehe darin, diese Ergebnisse in vivo zu wiederholen und dabei den Darm der Maus zu erforschen, teilt er mit.
Schlüsselbegriffe
MCExtrusion, Intestinum, Darm, Ausstoßen, Abstoßen, Organoid, Optogenetik, Laserablation, entzündliche Darmerkrankung, Morbus Crohn, Zöliakie, Magen- und Darmerkrankungen, Epithel