Mit neuartiger Zelltechnik Leukämie wirkungsvoll, aber schonend bekämpfen
Leukämie bezeichnet eine Gruppe von Blutkrebsarten, bei denen abnormale Blutzellen gebildet werden und die eine Reihe von Symptomen, darunter Müdigkeit, Blutungen, Blutergüsse und erhöhtes Infektionsrisiko, mit sich bringen. Die Behandlung umfasst typischerweise eine Kombination aus Chemotherapie, Strahlentherapie und Knochenmarktransplantation, wobei der Erfolg vom spezifischen Leukämietyp und dem Alter der betroffenen Person abhängt. Bei einer neueren innovativen Therapie werden Immunkillerzellen genetisch derart verändert, dass sie B-Zell-Leukämien erkennen und zerstören. Dazu werden sie mit künstlichen Rezeptoren ausgestattet, die sie dazu veranlassen, die krebsartigen B-Zellen zu töten, die an ihrer Expression spezifischer Proteine erkennbar sind. Diese therapeutischen Zellen werden im Labor gezüchtet und dann wieder in die betroffene Person übertragen. „Zwar tötet die Therapie die tumorösen B-Zellen wirkungsvoll, aber leider auch die gesunden B-Zellen. Doch ungeachtet dieses Nachteils lohnt sich der Kompromiss für die Betroffenen mit bestimmten B-Zell-Tumoren“, sagt Lukas Jeker(öffnet in neuem Fenster) von der Universität Basel. Dieser Ansatz funktioniert, weil die Zielproteine nur auf B-Zellen zu finden sind. Zudem kann die kollaterale Abtötung gesunder B-Zellen durch die Verabreichung von normalerweise von den B-Zellen produzierten Antikörpern kompensiert werden. „Die Herausforderung besteht weiterhin darin, Zielproteine für weitere Bluttumoren zu ermitteln, beispielsweise die aus Myeloidzellen, wenn viele ihrer Proteine auch auf gesunden Blutstammzellen – der Quelle aller Blutzellen – zu finden sind. Dort Kollateralschäden zu verursachen, wäre verheerend“, erklärt Jeker, Koordinator des Projekts TALE, das vom Europäischen Forschungsrat(öffnet in neuem Fenster) finanziert wurde. Das Team von TALE schlägt vor, dass die Patientinnen und Patienten neben den umprogrammierten Killerzellen auch gesunde Zellen erhalten, die technisch derart verändert wurden, dass sie gegen diese Zellen resistent (abgeschirmt) sind.
Tumorzellen ohne Kollateralschäden abtöten
Das TALE-Team konzentrierte sich auf einen Konzeptnachweis für akute myeloische Leukämie (AML) und ermittelte zunächst die genaue Bindungsregion für zielgerichtete Therapien sowie Antikörper, Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, künstliche T-Zell-Antikörper und dann umprogrammierte „CAR-T“-Killerzellen. Anschließend wurde eine minimal modifizierte Version des Zielproteins konzipiert, die die therapeutischen Wirkstoffe nicht mehr bindet, ihre Funktion jedoch beibehält. Diese Variante wurde dann als Ursprung aller Blutzellen in das Genom menschlicher Blutstammzellen eingebaut – was eine Resistenz gegen die Therapie ergab – und anschließend in Mäuse transplantiert, um das Konzept an einem erkrankten Organismus zu erproben. „Wenn wir in der Lage sind, Tumorzellen gezielt und radikal abzutöten, ohne parallel die Blutstammzellen zu schädigen, bleibt das sich neu regenerierende Blutsystem erhalten“, fügt Jeker hinzu. Das TALE-System wurde anhand einiger Tests bewertet, darunter rechnerische Modellierung, Zellscreening zur Identifizierung von Bindungsregionen zielgerichteter Wirkstoffe sowie biophysikalische Methoden, um Proteine zu charakterisieren, Wechselwirkungen zwischen Zielproteinen und Wirkstoffen zu erkennen und die Stabilität von technisch veränderten Zielproteinen zu bestätigen. „Wir demonstrierten die Realisierbarkeit des Konzepts mit verblüffenden Ergebnissen für akute myeloische Leukämie, denn wir konnten verschiedene Bluttumoren bei Mäusen beseitigen, ohne das Blutsystem zu schädigen. Wir gehen weit über den Konzeptnachweis hinaus, beginnen mit der Entwicklung für klinische Versuche und nähern uns einem therapeutischen Produkt an“, berichtet Jeker. „Hier schließt sich der Kreis: TALE begann als ein Grundlagenforschungsprojekt, entwickelte sich zu einem therapeutischen Projekt, das neue Grundlagenforschung auslöste(öffnet in neuem Fenster).“
Größeres Potenzial für neue therapeutische Plattform
Das TALE-Team stellte fest, dass die Anwendung seines Konzepts auf ein Protein, das auf praktisch allen Blutzellen vorkommt (CD45), einen nahezu universellen Ansatz zum Ersatz des Blutsystems bietet. Auch eine Variante, bei der die Chemotherapie bei der Blutstammzelltransplantation weggelassen wird, wurde erkundet, und das Team arbeitet nun daran, das Konzept auf Autoimmun- und Infektionskrankheiten anzuwenden. Neben akademischen Gruppen arbeitete das Team von TALE auch eng mit Cimeio Therapeutics(öffnet in neuem Fenster), Jekers Spin-off-Unternehmen, zusammen und beschaffte zusätzliche Finanzmittel zur Entwicklung echter Therapeutika. Cimeio ist außerdem eine Partnerschaft mit dem Biotechnologieunternehmen Prime Medicine(öffnet in neuem Fenster) und dem Pharmaunternehmen Kyowa Kirin(öffnet in neuem Fenster) eingegangen, um die Kommerzialisierung zu planen. „Wir erleben jetzt Patientinnen und Patienten sowie führende ärztliche Fachleute, die sich an uns wenden, weil sie das Potenzial sehen, Leukämien und genetische Blutkrankheiten schonender zu behandeln, als es Chemotherapie erlaubt“, betont Jeker.